Mendel 1/1873, Bd. 3

Diem, Joseph, ausgezeichneter Violoncello-Virtuose der Gegenwart, geboren 1836 zu Kellmünz bei Memmingen in Baiern, war der Sohn armer Landleute, dem es nur in Folge bewundernswerther Ausdauer und Beharrlichkeit gelang, sich unter den ungünstigsten Umständen vom Hirtenjungen zum berühmten Tonkünstler emporzuschwingen. In frühester Zeit hatte er sich von seinen Ersparnissen eine Flöte, später eine Geige angeschafft, auf welchen Instrumenten er Tag und Nacht unverdrossen übte. Als er 15 Jahr alt war, ging er mit einer Truppe von fahrenden böhmischen Musikanten auf die Wanderschaft und füllte als Tanzspieler die Stimme einer zweiten Violine aus. Bittere Noth zwang ihn, in der Schweiz diese Gesellschaft wieder zu verlassen, und er wäre vielleicht für die Kunst verloren gewesen, wenn nicht damals ein edler jüdischer Gutsbesitzer sich seiner angenommen und erwirkt hätte, dass D. behufs höherer musikalischer Ausbildung das Conservatorium in München besuchen durfte. Dort wandte sich D. von der Violine zum Violoncello und bildete sich, hauptsächlich unter Müller’s Leitung, unterstützt von den seltensten musikalischen Anlagen und einem hellen Sinn, in kürzester Frist zum Virtuosen auf diesem Instrumente aus. Nach dreijährigem, von ausserordentlichem Erfolge gekrönten Studium gab er zuerst in Augsburg ein Concert, in dem er sofort Aufsehen erregte und wurde von einem kunstliebenden Nürnberger Fabrikherrn mit einem kostbaren Guarnerio-Violoncello beschenkt. Von dem Verlangen getrieben, es bis zum höchsten Gipfel auf seinem Instrumente zu bringen, ging er noch nach Weimar und liess sich von Bernh. Cossmann dem Ziele seines Strebens zuführen. Ein Artikel J. C. Lobe’s in der Gartenlaube (überschrieben „Ein Sennhirte“ im Jahrg. 1870 No. 14) lenkte später die allgemeine Aufmerksamkeit auf D., der auf Empfehlung Cossmann’s hin vorerst 1866 einem Rufe als Professor an das Conservatorium in Moskau folgte und dort als Lehrer mit grossem Erfolg wirkte. Von Moskau aus unternahm er alljährlich grössere und kleinere Kunstreisen, namentlich nach Deutschland und England (1872 nach Amerika) und hat sich den unbestrittenen Ruhm erworben, von den heutigen Violoncellovirtuosen einer der allerersten zu sein. Von einer Thätigkeit D.’s als Componist dagegen ist nichts bekannt geworden, und es dürfte nur anzuerkennen sein, wenn die Enthaltsamkeit auf dem Felde der Produktion aus einer richtigen Selbstbeurtheilung des Umfanges seiner Fähigkeiten hervorgegangen sein sollte.