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Idelsohn, Abraham Zvi, * 14. Juli 1882 Felixberg/Libau, † 14. August 1938 Johannesburg/Südafrika, Musikethnologe, Komponist, Kantor

1   Herkunft und Ausbildung

Abraham Zvi Idelsohn ist ein jüdischer Kantor, Musikethnologe, Komponist und Linguist. Er ist am besten bekannt für seine umfassenden ethnologischen Forschungen über jüdische Musik. Von 1924 bis 1934 war er Professor für Hebräisch und Liturgie sowie Musik am Hebrew Union College in Cincinnati, Ohio, USA.

Idelsohn wurde in Felixberg (Jurkalne), Lettland, in eine orthodoxe jüdische Familie geboren. Die Familie zog nach Libau (Liepaja), als er noch jung war. Er erhielt eine orthodoxe jüdische Erziehung und besuchte eine Jeschiwa (jüdische Bildungseinrichtung, die sich auf das Studium religiöser Texte konzentriert). Idelsohn war jüdischer liturgischer Musik schon früh durch seine regelmäßigen Besuche in der Synagoge ausgesetzt. Sein wichtigster Lehrer in Libau war der Kantor Abraham Mordechai Rabinovitz. Idelsohn setzte seine musikalische Ausbildung am Stern’schen Konservatorium in Berlin (1901) und an der Leipziger Musikhochschule fort. Er war auch als Kantor in jüdischen Gemeinden in Augsburg und Regensburg tätig sowie in Leipzig und Johannesburg, Südafrika.

Im Jahre 1906 ließ er sich in Jerusalem nieder und arbeitete dort als Kantor und Musiklehrer. In einer autobiografischen Skizze beschrieb er, was ihn motivierte, den Weg des Forschers einzuschlagen: This idea ruled my life to such extent that I could find no rest. I therefore gave up my position and travelled to Jerusalem, without knowing what was in store for me. In Jerusalem, I found about 300 synagogues and some young men eager to study Chazanuth. The various synagogues were conducted according to the customs of the respective countries, and their traditional song varied greatly from one another (Idelsohn 1986, 21). Außerdem versuchte er ein internationales Institut für Jüdische Musik zu etablieren. Dieser Versuch wurde aus finanziellen Gründen nie realisiert. Während seines Aufenthaltes veröffentlichte er auch einige seiner Geschichten und Essays. Er wurde in seiner Forschung durch das Phonogrammarchiv in Wien gefördert, das ihm ein Aufnahmegerät zur Verfügung stellte und ihm einen finanziellen Zuschuss gewährte.

2   Musikwissenschaftliche Arbeit

In dem zehnbändigen Hebräisch-Orientalischen Melodienschatz, sukzessive von 1914 bis 1932 veröffentlicht, berücksichtigt Idelsohn maßgeblich die verschiedenen Traditionen des jüdischen Gesangs. Die komplette Reihe der Bücher wurde in deutscher, englischer und teilweise in hebräischer Sprache veröffentlicht. Der Melodienschatz erfasst die Musik der orientalischen Juden (d. h. der Juden der arabischen und muslimischen Länder und ihrer Nachkommen) sowie die Gesangtraditionen der Juden Europas. Im Folgenden sind die Titel der einzelnen Bände der Reihe aufgeführt:

Die übrigen fünf Bände des Melodienschatz erschienen im Jahre 1932:

Mit Hilfe der vergleichenden Methode glaubte Idelsohn eine gemeinsame Quelle der jüdischen Musik vor dem Galut (der jüdischen Diaspora, die um das 6. bis 8. Jahrhundert v. Chr. begann) nachweisen zu können. Idelsohn identifiziert die liturgischen Gesänge der orientalischen Juden, besonders die biblischen Kantillationen (Tehamin) der Juden von Babylon (Irak) und im Jemen, als das älteste lebendige melodische Repertoire. Seine Forschung führte ihn zu den Schlussfolgerungen, dass jüdische Musik erstens auch nicht-jüdische Elemente enthält, und zweitens, dass jüdische liturgische Gesänge sich nicht auf einen einzigen Autor zurückführen lassen, sondern Ausdruck des jüdischen Volkes sind. Jüdische Musik, so Idelsohn, war ein Ausdruck des jüdischen Geistes und Charakters.

3   Politik

Im Jahr 1913 hielt sich Idelsohn länger in Wien auf, um seine Ergebnisse zu präsentieren. Während seiners Aufenthalts begegnete er Guido Adler und hielt Vorlesungen über seine Forschungen. In Wien besuchte er auch den 11. Zionistischen Kongress und traf dort Chaim Nachman Bialik, einen in Russland geborenen Dichter und Verleger, der einige Jahrzehnte später zu Israels offiziellem Nationaldichter wurde. Von Anfang an war Idelsohn überzeugter Zionist und sein politisches Bewusstsein beeinflusste seine Arbeit als Forscher. Schon in seiner Jugend war er ein leidenschaftlicher Leser der hebräischen Literatur und ein Verehrer von Achad Ha'am (Asher Ginsberg), dem Führer des Kulturzionismus. Später kam Idelsohn in direkten Kontakt mit zionistischen Aktivisten und Denkern.

Idelsohns Arbeit wurde kurz danach durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrochen. Nach seiner Rückkehr nach Jerusalem wurde er in die türkische Armee eingezogen und diente als Kapellmeister in Gaza. Im Jahr 1919 nahm er seine Lehrtätigkeiten und wissenschaftlichen Tätigkeiten wieder auf und beendete seine Oper Jiftaḥ, die erste Oper in hebräischer Sprache.

4   Letzte Jahre und die Nachwelt

Am Anfang der 1920er-Jahre zog Idelsohn mit seiner Familie in die USA. Nach einer ausgedehnten Vortragsreise siedelte er sich in Cincinnati, Ohio an. Im Jahr 1924 wurde er zum Professor für Hebräisch und Liturgie sowie Musik am Hebrew Union College ernannt. Ab 1930 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand und ab 1934 litt er unter unheilbaren Behinderungen. Im Jahr 1937 traf er seine Familie (seine drei Töchter und seinen Bruder Jeremias) in Johannesburg und starb dort im Alter von 56 Jahren.

Bis weit in die Gegenwart hinein gelten Idelsohns Schriften als wesentliche Nachschlagewerke und sind Ausgangspunkt für fast alle späteren Studien der jüdischen Musik. Im Jahr 1986 wurde das Abraham-Zvi-Idelsohn-Memorial-Volume durch den Magnes Verlag der Hebräischen Universität veröffentlicht. Bis heute ist dies die bedeutendste Sammlung von Artikeln über Idelsohn. Kürzlich veröffentlichte die Österreichische Akademie der Wissenschaften eine Reihe von CDs mit Idelsohn-Aufnahmen (The Collection of Abraham Zvi Idelsohn), von den ursprünglichen Wachszylindern produziert. Die Bedeutung dieser Aufnahmen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Sammlung stellt die Musik zur Verfügung,der Idelsohn während seines Aufenthaltes in Jerusalem ausgesetzt war (einige der Aufnahmen wurden in Petah Tikva aufgenommen). Trotzdem und trotz der enormen Fortschritte, die in den letzten Jahren in dieser Hinsicht gemacht worden sind, sind Idelsohns facettenreiche Leistungen als Gelehrter, Komponist und Autor noch nicht in ihrer Gesamtheit entdeckt worden.

5   Literatur

Adler, Israel/Bathja Bayer, Eliyahu Schleifer (Hrsg.): The Abraham Zvi Idelsohn Memorial Volume, Jerusalem 1986.
Bohlman, Philip V. Jüdische Volksmusik. Eine mitteleuropäische Geistesgeschichte, Wien 2005.
Bohlman, Philip V. Jewish Music and Modernity, Oxford 2008.
Idelsohn, Abraham Z.: Hebräisch-Orientalischer Melodienschatz, 10 Bände, Berlin/Leipzig 1914-1932.
Idelsohn, Abraham Z.: Musical Characteristics of East-European Jewish Folk-song. In: The Musical Quarterly 18 (1932), 634-645.
Idelsohn, Abraham Z.: My Life. In: Israel Adler, Bathja Bayer, Eliyahu Schleifer (Hrsg.): The Abraham Zvi Idelsohn Memorial Volume, Jerusalem 1986, 18-23.
Idelsohn, Abraham Z.: Jewish Music: Its Historical Development. New York 1992 [1929].

6   Aufnahmen

The Collection of Abraham Zvi Idelsohn, 3 Compact discs [OEAW PHA CD 23], Wien 2005.