bmlo.de/k0074/A1
1 Ausbildung
Gertraud Kaltenecker erhielt ihren frühen Musikunterricht während ihrer Schulzeit am Institut der Englischen Fräulein in Regensburg. Nach dem Abschluss der Höheren Handelsschule war sie ab 1936 als Verwaltungsangestellte beim Arbeitsamt Regensburg tätig, was sie Broterwerb ohne seelische Belastung nannte (zitiert nach Sterl in Klotz u.a. 1999, S. 14). Ab 1930 wirkte sie – als Chormitglied wie auch solistisch – im Kirchenchor der Stadtpfarrkirche Herz Jesu in Regensburg mit, 1937 wurde dort ihre erste Komposition uraufgeführt. 1935–1940 war sie Privatschülerin von Max Jobst, der sie noch im Oktober 1942 ermutigte, Schulmusik zu studieren.
2 Beruf und Nebenberuf
Ihre erste Bewährungsprobe als Sängerin bestand Gertraud Kaltenecker 1943 mit der Partie der Mutter in Engelbert Humperdincks Oper Hänsel und Gretel mit Theobald Schrems und den Regensburger Domspatzen. Anschließend hospitierte sie ein Jahr an der Kirchenmusikschule Regensburg. 1944 bestand sie eine Sonderprüfung an der Akademie der Tonkunst in München mit dem Urteil, sie sei musikalisch hochbegabt und verdiene jede Förderung, der Krieg verhinderte jedoch ein Studium. Nach einer erneuten erfolgreichen Prüfung durch Joseph Haas konnte sie 1946 aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden und sich bis 1948 ganz der Musik widmen. Sie studierte Komposition bei Joseph Haas und Gustav Geierhaas, Gesang bei Franz Theo Reuter und die Nebenfächer Klavier bei Maria Hindemith-Landes und Dirigieren bei Heinrich Knappe. Musikgeschichtliche Vorlesungen hörte sie bei Hans Mersmann und Karl Gustav Fellerer. Wenn Gertraud Kaltenecker nach abgeschlossener Ausbildung trotzdem der Basis eines allmonatlich bezahlten Brotberufs den Vorzug vor einem unsicheren künstlerischen Werdegang gab, gleichsam in einer Art Nebentätigkeit als produzierende und reproduzierende Künstlerin kompositorische und sängerische Erfolge suchte, entsprach dies durchaus gesundem Menschenverstand und einer vorausschauenden Weitsicht (Sterl ebenda, S. 18). 1949–1977 war sie als Arztsekretärin beim Staatlichen Versorgungsamt tätig. Der musikalische Nebenberuf allerdings prägte nahezu dreißig Jahre ihr Leben entscheidend (ebenda). Als Sängerin war sie ab 1948 in Konzerten und Oratorienaufführungen zu hören, mehrere Angebote für eine berufliche Laufbahn als Sängerin oder Gesangslehrerin lehnte sie aber ab. Als Komponistin schuf sie etwa 100 Werke, die von ihrer tief religiösen Einstellung und Haltung getragen sind.
2.1 Würdigung
Gertraud Kaltenecker steht als Komponistin durch ihre Lehrer Joseph Haas und Max Jobst ungewollt in direkter Reger-Nachfolge. In einem Gespräch antwortete sie auf die Frage, wie sie sich stilistisch einordne: Meine Art zu schreiben ist durchaus herb, aber man kann die Musik gut hören und erfassen. Beim Komponieren denke ich immer an die Linie, an die Sanglichkeit. Das kommt wohl daher, daß ich Sängerin bin (Schmidt-Mannheim in Klotz u.a. 1999, S. 32). Ein Konzert, das ihr anlässlich ihres 75. Geburtstages gewidmet war und einen Bogen vom Opus 1a von 1937/38 zum Opus 60 von 1987 schlug, zeigte deutlich, dass die Komponistin in all den Jahren sich selbst treu geblieben ist. Ihr eigener Charakter und die Dominanten ihrer Persönlichkeit sind in ihre Musik eingegangen, die sich als liebenswürdig, sympathisch, charmant und wohlklingend darstellt. Gertraud Kaltenecker verfolgte über Jahrzehnte unbeirrt eine eigenständige kompositorische Linie, abgewandt von den epochemachenden Tonsetzern und den Ereignissen in den Zentren zeitgenössischer Musik. [...] Was im Laufe von etwa sechzig Jahren an Kalteneckerschen Kompositionen zur Aufführung kam, hatte Format und Eigenwuchs (Sterl in Klotz u.a. 1999, S. 13). 1990 wurde sie mit dem Kulturpreis der Stadt Regensburg ausgezeichnet.
3 Werke
Der kompositorische Nachlass befindet sich in der Proskeschen Musikabteilung der Bischöflichen Zentralbibliothek Regensburg. Die Erschließung in einem Band des Katalogs dieser Bibliothek steht 2012 noch aus.
3.1 Orchestermusik
Weihnachts-Pastorale für Flöte, Oboe und Streichorchester op. 5 (1947)
Serenade „In memoriam Max Jobst“ für Streichorchester op. 10 (1950)
Partita op. 61 für Streichorchester (1987)
3.2 Kammermusik
Suite für Violine und Klavier op. 4b (1948)
Suite für Fagott und Klavier op. 38 (1971)
Kinderlieder-Suite für Violoncello und Klavier op. 41 (1973)
Trifolium, Drei kleine Stücke für Sopranblockflöte (Querflöte) und Klavier (Cembalo) op. 45 (1977)
Nur siebzehn Silben nach Haiku-Gedichten von Autoren der Regensburger Schriftstellergruppe International (RSGI) für Flöte solo und Sprecher ad lib. op. 54 (1985)
Geistliches Konzert für Oboe, Englischhorn und Orgel op. 64 (1988)
Fünf Miniaturen für Violoncello und Klavier op. 68 (1989)
Bayerische Skizzen für Klarinette und Klavier op. 72 (1991)
Partita für Sopranblockflöte und Cembalo op. 86 (1998)
3.3 Orgelmusik
Postludium zur Missa „Virgo Mater“ op. 9 (1949)
Choralvorspiel, Variationen und Fuge über das Kirchenlied „Maria breit den Mantel aus“ op. 12 (1954)
Partita über das Kirchenlied „Christ ist erstanden“ op. 16 (1955)
Partita op. 17 (1957)
Partita über „Es sungen drei Engel“ op. 29 (1966)
Liturgische Impressionen op. 39 (1972)
Partita „Der Sonnengesang des Hl. Franz von Assisi“ op. 44 (1977)
Partita über „Die Töne der Glocken des Regensburger Domes“ G-A-H-d’-e’-g’ op. 47 (1979)
Psalmmeditationen für Orgelsolo und Bariton op. 48 (1981)
Partita „Die Minoritenkirche zu Regensburg“ op. 49 (1982, 5. Satz 1984)
Sechs Choralvorspiele op. 52 (1984/85)
Fantasie über B-A-C-H op. 53 (1985) und Fuge (1989)
Triptychon über „Salve Regina“ op. 57 (1986)
Proprium per organo op. 58 (1986)
Concerto per organo a tre parte op. 60 (1987)
Fantasie „Te deum laudamus“ op. 70 (1990)
Introduction, Variationen und Fuge über „O Haupt voll Blut und Wunden“ op. 74 (1992)
Kleine Suite über das Kirchenlied „Gelobt sei Gott der Vater“ für Orgelpositiv op. 75 (1992)
Introduction und Passacaglia op. 76 (1993)
Suite op. 77 (1993)
Choralvariationen über das Kirchenlied „Freu dich sehr, o meine Seele“ op. 78 (1994)
Choralvorspiele zu Liedern der Passionszeit aus dem Gotteslob op. 83 (1996/97)
Orgel-Partita über den Choral „Die güldne Sonne voll Freud und Wonne“ op. 88 (1999)
Kleine Partita op. 91 (2002)
3.4 Klavier- und Cembalomusik
Suite (vierhändig) op. 4a (1947)
Sechs leichte Stücke für die musizierende Jugend op. 7a (1949)
Variationen und Fuge über ein eigenes Thema op. 19 (1958)
Suite „Altbayrische Miniaturen“ op. 42 (1973)
Introduction und Passacaglia op. 69 (1989)
Toccata und Fuge op. 81 (1996)
Variationen und Fuge über Bachs Schemelli-Lied „Jesu, meines Herzens Freud“ für Cembalo op. 80 (1995)
Kleine Suite für Klavier vierhändig op. 82 (1996)
3.5 Liturgische Gesänge
3.5.1 Singstimmen und Orgel
„Regina coeli“ für hohen Sopran und Orgel op. 13 (1953)
„Gegrüßet seist du, Maria“ für Sopran und Orgel op. 14 (1954)
„Salve Regina“ für Sopran und Orgel op. 15 (1957)
Drei liturgische Gesänge für Sopran und Orgel op. 18 (1957)
Offertorium „Cum esset desponsata“ für dreistimmigen Frauenchor und Orgel op. 20 (1958)
„Virgo mitis“ für Solo-Sopran und Orgel op. 22a (1959)
„O Virgo pulcherrima“ für zwei Soprane (auch chorisch) und Orgel op. 22b (1959)
„Benedicta et venerabilis“ für zwei Soprane, Alt und Orgel op. 22c (1959)
„Tota pulchra es, Maria“ für sechsstimmigen Frauenchor und Orgel op. 22d (1959)
„Bereit ist mein Herz, o Gott“ (Psalm 44) für eine Singstimme (oder Wechselgesang) und Orgel op. 23 (1959)
„Ave maris stella“ für Sopran, Alt und Orgel op. 25 (1959)
„Gloria patri“ für Sopran und Orgel op. 26 (1962)
„Lauda, anima mea, Dominum“ für Sopran und Orgel op. 27 (1962)
„Improperium exspectavit cor meum“ für Sopran und Orgel op. 30 (1966)
Zwei geistliche Gesänge für zwei Soprane (Tenöre) und Orgel op. 35 (1968)
Deutsche Brautmesse für Sopran (Tenor) und Orgel op. 36 (1968)
„Preisen will ich den Herrn“, Offertorium zum 5. Sonntag nach Pfingsten für Sopran, Alt, Bariton und Orgel op. 40 (1971)
Psalmmeditationen für Bariton und Orgelsolo op. 48/2 und 4 (1981)
„Du heiliger und allerhöchster Gott“ nach einer Osternachtshymne für Bariton und Orgel op. 50 (1983)
„Ich suche dich, Herr“, Drei geistliche Gesänge (Hubert Neufeld) für Bariton und Orgel op. 66 (1988)
Drei Weihnachtslieder (Johannes R. Becher, Joachim Ringelnatz, Chiara Lubich) für Sopran, Alt und Orgel op. 67 (1988/89)
„Träume und Wandlungen“, Drei geistliche Lieder (Anna-Valeria Vogl-Hüger) für Bass und Orgel op. 71 (1990)
Kreuzweg-Gedanken nach eigenen Texten für Alt und Orgel op. 87 (1998)
3.5.2 Singstimmen und Instrumente
„Ich sehe dich in tausend Bildern“, Geistliches Lied (Novalis) für vierstimmigen gemischten Chor, Violine und Orgel op. 2 (1940)
Hymnus „Veni Creator Spiritus“ für vierstimmigen gemischten Chor, Streicher, Trompete, Oboe und Fagott op. 21 (1959)
Kantate „Mater Dei“ (anonyme Dichter, Johann Caspar Lavater, Dante Alighieri) für drei Solo-Soprane, Kinderchor, vierstimmigen gemischten Chor, Violine und Orgel op. 28 (1964)
3.5.3 Liturgische Chormusik a cappella
„Da Jesus in den Garten ging“, Geistliches Lied am Gründonnerstag oder Karfreitag für vierstimmigen gemischten Chor op. 1b (1937)
„Und unser lieben Frauen“ für Frauenchor op. 3 (1941)
„Popule meus“, Improperien am Karfreitag für sechsstimmigen gemischten Chor op. 6 (1947)
Missa „Virgo Mater“ für dreistimmigen gemischten Chor op. 8 (1949)
Marienlied (Robert Erbertseder) für dreistimmigen Frauenchor op. 24 (1959)
Gebet zu Maria (Franz Xaver Lehner) für vierstimmigen gemischten Chor op. 31 (1965)
Deutsches Proprium zum Passionssonntag für dreistimmigen gemischten Chor op. 34 (1968)
„Stetit Angelus“, Offertorium zum St. Michaelsfest für vierstimmigen gemischten Chor op. 37 (1968)
„Du trägst auf Mutterarmen“ (Luise Hensel) für dreistimmigen Frauenchor op. 56 (1986)
„Jubilate Deo“, Motette für achtstimmigen gemischten Chor op. 73 (1991)
3.6 Weltliche Chorwerke
Zwei heitere Gesänge (Joachim Ringelnatz) für dreistimmigen gemischten Chor op. 7b (1949)
„Deutsche Minnelieder“ (Walther von der Vogelweide, Dietmar von Aist, Der von Kürenberg, Anonym) für vierstimmigen gemischten Chor op. 11 (1952)
Leitspruch „Gehe den Weg, den Gott dir gezeichnet hat“ (Guy de Larigandie) für vierstimmigen gemischten Chor op. 32 (1967)
Zwei Kanons (Emanuel Geibel, Joseph von Eichendorff) op. 33 (1968)
„Gar mancher“, Drei heitere Lieder (Erich Ludwig Biberger)für vierstimmigen gemischten Chor op. 62 (1987)
„Astrologisches“, Vier heitere Lieder (Oskar Weber) für vierstimmigen gemischten Chor op. 65 (1988)
„Stationen des Lebens“, Sechs Lieder (Karl Schauber) für vierstimmigen gemischten Chor op. 90 (2002)
3.7 Lieder
Drei Lieder (Richard Billinger, Johann Georg Jacobi, Hans Carossa) für Sopran und Klavier op. 1a (1937/38)
„Spirale“, Sieben Lieder (Gertrud von den Brincken, Ernst R. Hauschka, Peter Coryllis, Peter J. Ettl, Elfriede Brandler, Florian Seidl, Erich Ludwig Biberger) für Bariton und Klavier op. 43 (1975)
„Dimensionen“, Sechs Lieder (Erich Ludwig Biberger) für Alt und Klavier op. 46 (1978)
„Und inmitten immer der Mensch“, Sechs Lieder (Peter Coryllis) für hohen Sopran und Klavier op. 51 (1984)
Zwei Lieder (Johann Wolfgang von Goethe, Peter Coryllis) für Bass und Klavier op. 55 (1985)
Drei ernste Lieder nach eigenen Texten für Sopran und Klavier op. 59 (1986)
„Du meine Schwalbe“ (Gerhard Weber) für Bariton und Oboe op. 63 (1987)
Sieben Lieder (Anton Schreiegg, Erich Ludwig Biberger, Hermann Kuprian, Anna-Valeria Vogl-Hüger, Peter Coryllis, Elisabeth Augustin) für Bass und Klavier op. 79 (1994)
Drei besinnliche Lieder (Erich Ludwig Biberger) für Sopran und Klavier op. 85 (1997)
„Durch Zeit und Raum“, Sechs Lieder (Anton Schreiegg) für Tenor und Klavier oder Orgel op. 89 (2001)
3.8 Diskographie
Dokumentation zu Band 37 der Monographienreihe Komponisten in Bayern: Gertraud Kaltenecker, Landesverband Bayerischer Tonkünstler, CD
3.9 Schrift
Geschichte des Kirchenchores der katholischen Stadtpfarrkirche Herz Jesu Regensburg 1930–1980, Unveröffentlichtes Typoskript
4 Literatur
Raimund W. Sterl, Eine Regensburger Komponistin – Gertraud Kaltenecker zum Siebzigsten, in: Regensburger Almanach 1985, S. 177–184.
Raimund W. Sterl, Gertraud Kaltenecker – 70 Jahre, in: Musica sacra 105 (1985), S. 108–109.
Raimund W. Sterl, Gertraud Kaltenecker zum 70. Geburtstag, in: Neue Musikzeitung 34 (1985), Nr. 2, S. 50.
Mechthild Sperling, Die Regensburger Komponistin Gertraud Kaltenecker – Ihr Beitrag zur zeitgenössischen Kirchenmusik, Magisterarbeit Universität Münster (Westfalen) 1987.
Raimund W. Sterl, Ostbayerns Komponistenseniorin Gertraud Kaltenecker zum 75. Geburtstag, in: Musik in Bayern 39 (1989), S. 119–128.
Udo Klotz / Eberhard Kraus / Hans Schmidt-Mannheim / Raimund W. Sterl, Gertraud Kaltenecker (Komponisten in Bayern 37), Tutzing 1999.
Markus Bauer, Eine Komponistin der gemäßigten, der „angenehmen Moderne“. Regensburger Komponistin Gertraud Kaltenecker 85 Jahre alt, in: Lied & Chor 2000, 7, S. 12.
Markus Bauer, Kompositionen und Bilder in Regensburg. Ausstellung zum 85. Geburtstag der Komponistin und Malerin Gertraud Kaltenecker, Kompositionen, in: Altbayerische Heimatpost 52 (2000), 26, S. 11.
Jakob Brenner, Die Regensburger Komponistin Gertraud Kaltenecker. Leben und Beschreibung der Orgelpartita op. 47 mit eingehender Analyse des 4. Satzes, in: Kollegstufenwettbewerb 13. 2004, Regensburg 2005, S. 1–48.
Raimund W. Sterl, „Broterwerb ohne seelische Belastung“. Zum Tod von Gertraud Kaltenecker, in: Mälzels Magazin 8 (2005), 1, S. 17.