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Mundigl, Josef Otto, * 8. Oktober 1942 Langquaid, † 15. September 1999 Saal bei Kelheim, Komponist, Musikforscher, Musikpädagoge

1   Herkunft und Ausbildung

Josef Otto Mundigl studierte nach dem Besuch des Gymnasiums in Kelheim an der damaligen Pädagogischen Hochschule in Regensburg bis zur ersten Lehramtsprüfung 1969. Im Jahre 1968 nahm er das Studium der Musikwissenschaft und Pädagogik an der Universität Regensburg auf, das er 1975 abschloss.

2   Beruflicher Weg

Seit 1969 war Mundigl als Volksschullehrer in Regen, Lengfeld, Biburg und Kelheim tätig. Ab 1970 beschäftigte er sich daneben intensiv mit elektronischer Musik, Schallanalyse und Komposition; 1974/75 gab er Einführungskurse in die elektronische Musik an der Volkshochschule Regensburg, ab 1976 unterrichtete er beim Internationalen Arbeitskreis für Musik im Rahmen der Lehrerfortbildung. 1981 wurde er mit einer Dissertation über Elektronische Musik im Unterricht promoviert. Im Jahre 1989 erkrankte er schwer, 1993 wurde er frühpensioniert.

Musik aus Strom – der Begriff benennt den Lebensinhalt Mundigls, der Komponist und Entwickler aus gleicher Leidenschaft war. Musik aus Strom zu schaffen, das bedeutete für ihn, dass er über völlig freies Material verfügen konnte, das in keiner Weise vorbestimmt war, und dass er die absolute Freiheit besaß, jeden einzelnen Ton in jedem Parameter nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Instrumentale Musik, also Musik für herkömmliche Musikinstrumente, konnte in seinem Verständnis nie einen hinreichenden Grad von Perfektion erreichen – und dann war da noch die Suche nach der unendlichen Genauigkeit und Vollkommenheit im elektronischen Medium.

Mundigl hatte sich mit ausschließlicher und ausschließender Konsequenz der geschlossenen Welt der elektronischen Musik verschrieben – nicht nur als Komponist, nicht nur als Entwickler, sondern auch als Musikwissenschaftler. Intensiv dachte er über die Grundlagen des Komponierens an sich nach, dann auch über jene des Komponierens elektronischer Musik. Er beschäftigte sich eingehend mit den theoretischen, musiktheoretischen und historischen Grundlagen, insbesondere auch mit den mathematischen Aspekten des Komponierens. Daraus ergaben sich Konsequenzen für seine Arbeit im Bereich der technischen Entwicklung, damit verbunden für seinen Weg vom Synthesizer zum Computer – und somit letztlich immer für sein kompositorisches Werk. Im Grunde beschäftigte sich Mundigl also mit Grundlagenforschung in der Musik.

3   Würdigung

Im Jahre 1974 schuf Mundigl mit dem ersten Teil seiner Komposition Kristalle eine elektronische Klangfarbenmusik zu Bildern von Karl Freyer mit beträchtlichem suggestivem Potential. Es ist eine höchst farbige, eindringliche, gut ausgehörte Musik, weithin zart, sensibel und durchaus schön zu nennen, sehr klangvoll in einem geradezu traditionellen Sinn. Mundigls Musik mochte anderen Komponisten elektronischer Musik als experimentell erscheinen, weil er ganz offensichtlich Anklänge an Bekanntes nicht scheute. Er war kein Purist, der nur der Technik folgte, er war vielmehr ein strenger, konsequenter Arbeiter, dem interpretatorischer Ausdruck im elektronischen Medium über alles ging. Im Lauf der Jahre hatte Mundigl ein erstaunlich großes und treues Publikum gewonnen. In der Volkshochschule Regensburg fand er in den Jahren 1975–1997 immer wieder einen aufgeschlossenen Partner für die Durchführung seiner Konzerte.

In den Jahren 1993–1997 ließ Mundigl sich auf die alte Tradition des Komponisten als Bearbeiter ein und setzte sich eigenschöpferisch mit Johann Sebastian Bachs Zweistimmigen Inventionen auseinander. In diesen Arbeiten war er im Grunde ganz bei sich selbst: als Analytiker der gegebenen Musik, als schöpferischer Komponist und als Entwickler, hier jedoch nicht von technischen Dingen, sondern als einer, der die Ergebnisse der Analyse und der schöpferischen Idee zusammenbrachte, um daraus Neues entstehen zu lassen: Das Kreative daran ist, neue Klänge für einen Bach zu finden.

4   Kompositionen

Elektronische Studie Nr. 1: Dialog für zwei Lautsprecher (1972)
Elektronische Studie Nr. 2: Nachtgesang (1973): Tod des Tags, Klage an die Nacht, Sternengesang
Fünf Sequencerstudien (1973/74, Gesamtdauer 44 Min.): Rondo (1974, 12 Min. 30 Sek.), Homo sapiens, Satire auf die Bewegung der Gedanken in den Windungen eines Gehirns, Himmelsleiter, Perpetuum mobile, Aphorismen zu einem Thema von Chopin
Reflexe (ca. 1973/74)
Baal Sebub’s Tanz (1974)
Kristalle, eine elektronische Klangfarbenmusik nach Bildern von Karl Freyer – Teil 1 (1974, Gesamtdauer ohne Pausen 43 Min. 16 Sek.): 1. crystallum (4 Min. 46 Sek.), 2. cum mortuis in lingua mortua (4 Min. 41 Sek.), 3. rota (1 Min. 23 Sek.), 4. avis metallica (2 Min. 28 Sek.), 5. scalae (3 Min. 32 Sek.), 6. manus (3 Min. 34 Sek.), 7. voces (2 Min. 15 Sek.), 8. viridis (1 Min. 38 Sek.), 9. colores (3 Min. 12 Sek.), 10. meditatio (6 Min. 20 Sek.), 11. quadruplum (3 Min. 10 Sek.), 12. finis (6 Min. 17 Sek.)
Ringspiel Nr. 1 (1974) – Dauer variabel
Orchesterkonzert Nr. 1 für elektronische Klänge und Instrumente (1975)
Ringspiel Nr. 2 (1975) – Dauer variabel
Ringspiel Nr. 3 (1975) – Dauer variabel
Shadows and Lights (ca. 1975)
Glasperlenspiel (in memoriam Hermann Hesse) (1976)
Ringspiel Nr. 4 (1978) – Dauer variabel
Ringspiel Nr. 5 (1978) – Dauer variabel
Quartett Nr. 1 (in memoriam Hermann Beck) (1980)
Kristalle, eine elektronische Klangfarbenmusik nach Bildern von Karl Freyer – Teil 2 (1980/81)
Quartett Nr. 2 (quasi una fantasia) (Prof. Dr. Helmuth Hopf gewidmet) (1981) – Dauer 20 Min. 30 Sek.
Ringspiel Nr. 6 (1981) – Dauer variabel
1. Kinderkonzert (1981)
Kristalle, eine elektronische Klangfarbenmusik nach Bildern von Karl Freyer – Teil 3 (1981–...)
Ballettmusik für Kinder (1981–1983) [aus Kinderkonzert]
1. Körperstromkonzert (1982)
Vier Impromptus (1982/83): Nebel im Sippenauer Moor, Erinnerungen an einen großen Farn im Regen, Aphorismen zu einer Tonleiter, Tanz der Eisblumen
Ringspiel Nr. 7 (1983) – Dauer variabel
Interludium II (Romanze) (1983) – Dauer 8 Min.
Feuertanz (1984?) [aus Ballade]
Ballade über einen Traum mit der Erscheinung des Hermann (1984–1986) – Dauer 34 Min. 37 Sek.
Eine kleine Blasmusik. Solokonzert (1987) – Dauer 30 Min. 43 Sek.
Ringspiel Nr. 8 (1991–...) – Dauer variabel
Hihidaror. Solokonzert (1991) – Dauer 35 Min. Als eigenständige Komposition verworfen, Basismaterial für For You.
For You. Peregrini Fantasia. Quadrophonisches Konzert für synthetisches Cello, Glasharfe und elektronische Klänge nach einem Bild von Manfred Sillner und einem Text von Thiago des Mello (1990–1992) – Dauer 36 Min.
Johann Sebastian Bach: Zweistimmige Inventionen (1993–1997): BWV 772 Allegro (1993), BWV 773 Moderato (1993), BWV 774 Vivace, quasi Allegro (1994), BWV 775 Allegro deciso (1994, BWV 776 Allegro risoluto (1994), BWV 777 (1996), BWV 778 (1997), BWV 779 Presto e leggiero possibile (1995)
Fraktale Welten (1992) – Dauer 25 Min.
Isaac Albéniz: Malagueña op. 165 Nr. 3 (1994) – Dauer 6 Min.
Präludium con Phantasia (1996/97) – Dauer 15 Min.

5   Diskographie

Elektronische Musik, Internationales Musikstudio Nürnberg, LP IMS 072
Elektronische Musik, Edition Arcanum Kelheim, Internationales Musikstudio Nürnberg, MC IMS 096

6   Schriften

Einführung in die elektronische Musik über das Experiment, in: Musik in der Hauptschule (Akademiebericht der Akademie für Lehrerfortbildung Dillingen/Donau 7), Dillingen 1972, S. 76–97.
Musik aus Strom. Eine Einführung in die elektronische Musik, Ditzingen/Heimerdingen 1975.
Tristram Cary, Handbuch zur Acht-Oktav-Filterbank, ins Deutsche übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Josef Otto Mundigl, Ditzingen/Heimerdingen o.J.
Elektronische Musik, serielles Denken und Mengenlehre, in: Musik & Bildung 9 (1977), S. 672–678.
Mitarbeit an: Hermann Handerer u.a., Mein Musikbuch. Klasse 1–4, Musikredaktion und Tontechnik für Beispielband, München 1977.
Elektronische Musik im Unterricht, Diss. Regensburg 1980.
12 Thesen zur elektronischen Musik (1984), in: Thomas Emmerig, Strom und Ströme – Kopf und Körper. Eine Erinnerung an Josef Otto Mundigl (1942–1999) zum 60. Geburtstag, in: Musik in Bayern 64 (2002), S. 112–116.

7   Literatur

Thomas Emmerig: Traditionell geformte Experimentalmusik. Experimentelle Musik von Josef Otto Mundigl und Ulrike & Dieter Trüstedt, in: Mittelbayerische Zeitung, Regensburg, 2. November 1983.
Thomas Emmerig: Strom und Ströme – Kopf und Körper. Eine Erinnerung an Josef Otto Mundigl (1942–1999) zum 60. Geburtstag, in: Musik in Bayern 64 (2002), S. 101–119.
Thomas Emmerig: Johann Sebastian Bachs Musik für das 21. Jahrhundert, in: Musiktheorie 17 (2002), S. 373–376.
Thomas Emmerig: Musik aus Strom – und neue Klänge für einen Bach. Eine Erinnerung an Josef Otto Mundigl (1942–1999), in: Mälzels Magazin 6 (2003), Heft 2, S. 10–12.