Lipowsky 1811

Gluck, (Christoph von): Gluck, (Christoph von), Ritter, wurde den 14. Febr. 1712 in der obern Pfalz, einem nicht genannten, jedoch an Böhmens Grenze gelegenen Orte geboren. Er begab sich in seiner Jugend nach Prag, um dort zu studiren, und erwarb sich damals schon durch seine Fertigkeit auf verschiedenen Instrumenten grossen Beifall. Seine große Neigung zur Tonsetzkunst bewegte ihn die Wissenschaften zu verlassen, und sich ganz der Musik zu weihen. Um sich hierinn zu vervollkommnen trat er eine Reise nach Italien an, und führte zu Mailand seine erste Oper auf. Im Jahre 1742 war er in Venedig, wo auf dem Theater S. Samuele seine Oper Demetrio gegeben wurde. Nun wagte er einen raschen Flug nach Engeland, setzte dort die Oper La Caduta de’ Giganti in Musik, und verfertigte sonst noch verschiedene musikalische Stücke. Von London nahm er seinen Weg nach Wien, und schrieb 1764 die Opern: Orfeo, und die Alceste, dann Elena e Paride, jenes berühmte Drama, das 1765 bei der Vermählungsfeier Kaiser Joseph II. mit großem Beifalle aufgeführt wurde, und worinn die Erzherzoginn Amalie die Rolle des Apollo, und die drei Erzherzoginnen Elisabeth, Josepha und Charlotte die drei Musen vorstellten, Erzherzog Leopold aber auf den Flügel akkompagnirte. Im Jahre 1772 machte er mit dem französischen Dichter Bailli de Roulet Bekanntschaft, der ihn bewegte sein Gedicht Iphigenie en Aulide, für das Pariser Theater in Musik zu setzen. Gluck schrieb diese Operrmusik, und reiste 1774 mit seiner Komposition nach Paris, führte sie daselbst, trotz aller Kaballe, die man ihm zu spielen sich mühte, unter dem Schutze der Königinn auf, und erwarb einen vollendeten Sieg über seine Feinde und die Anhänger des Lully und Rameau. Die Musik der Oper: Iphigenie en Aulide, fand solch’ einen großen und ungetheilten Beifall in Paris, daß sie am 17. Mai 1782 zum hundert und fünf- und siebenzigstenmal bei vollem Hause vorgestellt wurde. Hierauf schrieb er für das Theater in Paris, nachdem daselbst sein Orphée aus dem Italienischen, und die Alceste 1776 aufgeführt worden. a) Cythere assiegéo 1775; b) Armide 1777; c) Iphigenie en Tauride 1779, und Echo et Narcisse 1779. Diese Opern erhielten solch’ einen großen und ungetheilten Beifall, daß sie alle alte Opern von den Pariser Theatern verdrängten. Aber auch die Belohnungen entsprachen dem grossen Beifalle; denn Ritter Gluck erhielt nebst einem ansehnlichen Honorar eine jährliche Pension von 6,000 Livr. lebenslänglich, und seine Büste wurde auf Kosten der Nation neben die des Lully, Rameau und Quinault gesetzt. Auf Verlangen des deutschen Kaisers verließ er endlich Paris, und gieng nach Wien zurücke, wo er, nachdem er ein Vermögen von 300,000 Gulden gesammelt hatte, als K. K. Kapellmeister den 15. November 1787 am Schlagflusse gestorben ist. In seinen Kompositionen, die er alle eben so nach allen Theilen im Kopfe dachte, wie sie andere Tonkünstler mit Noten auszudrücken pflegen, suchte Gluck den französischen Geschmack mit dem italienischen zu verbinden, und der Musik ein neues Leben einzuhauchen, worinn er seine Absicht dergestalt erreichte, daß er zu London und in Paris das musikalische Orakel war. Er war im Umgange ein jovialer Mann, und besaß auch ausser seinem Fache Welt und Lektüre. Wenn man ihn gleich für keinen klassischen Komponisten und Kontrapunktisten hält (1); so athmen doch seine Opern Simplizität, und einen natürlichen guten Ausdruck; er macht fleißig Gebrauch von Chören, und die häufigere Einführung von Blasinstrumenten giebt seinen Arbeiten ein neues Ansehen, und einen neuen Gehalt. Ueberhäupt spricht sich in seinem Gesange die Empfindung richtig aus, und die Deklamation ist genau beobachtet. Riedl über die Musik des Ritter Gluck. (Wien 1775.) Neue Litteratur und Völkerkunde. Jahrg. 1789. Jul. 35--69. Baur’s Gallerie historischer Gemälde B. IV. S. 257--260. Forkel’s Litteratur der Musik. Ueber Gluck’s Musik sind die Urtheile verschieden, wie bereits hier schon zum Theil angeführt worden. Die allgemeine deutsche Bibliothek sagt in der Rezension über seine Oper Alceste: Gluck ist den allzuvielen Gurgeleien, Cadenzen, ewigen Da Capos mit Recht Feind, und braucht sie fast gar nicht. Aber er verwirft auch oft ohne Noth die Schönheiten der Musik, und opfert den Grazien allzuwenig, er fällt an sehr vielen Stellen in’s Niedrige, Gemeine und Kindische. Dadurch, daß er neu seyn will, wird er oft langweilig und einförmig, weil er es immer auf dieselbe Art ist, und scandirt nicht selten falsch. Indessen belobt ihn Kapellmeister Reichart in seiner Schrift über Glucks französische Opern. Ich lernte, schreibt er, zu Paris an Gluck’s Opern eine Gattung kennen, von der ich keine Vorstellung hatte, die an Gewißheit und ächten Kunstwerth alles, was man in Italien, Deutschland und Engeland sieht, hört und denkt, so unendlich weit übersteht, daß man nur durch die unbeschreiblich große und ganze Pariser Vorstellung einer Gluckischen Oper selbst eine Idee von der einzig wahren großen Oper bekommen kann. Man darf sich über den Tadel, den hier und da Glucks Musik erhielt, gar nicht wundern, wenn man bedenkt, daß er es war, der eine neue Bahn brach, als Reformator auftrat, den gewöhnlichen Schlendrian der damaligen italienischen Musik verbannte, der alle Schwierigkeiten und Passagen, welche die Handlung unterbrechen, die Empfindung hemmen, oft am ungeschickten Orte stehen, und nur dem Sänger, der oft keinen Ton mehr zu halten vermag, zu gefallen angebracht sind, weggelassen, der das Gefühl allein sprechen ließ, einen angenehmen, melodischen (2) Gesang einführte, den theatralischen Effekt berechnete u. s. w. Jede Neuerung hat ihre Widersacher, und hierunter zeichneten sich die alten Pedanten, und die Kontrapunktisten (3) am meisten aus. -- Der Beifall Aller überstimmt hier den Tadel dieser Wenigen, und erhält die Größe des hochgepriesenen Künstlers. Boßlersche Zeitungen vom J. 1788. S. 137. Glucks Briefe über seine Musik wurden im Mercure de France und in der Gazette de Litterature mitgetheilt. Diese, nebst den Dedikationen und Vorreden zu seinen Werken, wurden zu Paris gesammelt und 1781 im Octav-Formate herausgegeben. Von seinen praktischen Musikwerken wurde a) sein Orfeo zu London mit italienischen, und zu Paris mit französischen Texte und b) seine Alceste 1769 zu Wien mit italienischen und zu Paris mit französischem Texte gestochen. Eben so kamen c) zu Paris seine dort aufgeführten Opern in Kupfer gestochen heraus, nebst six Ariettes avec Simph. tirées de la Recontre imprevu 1769, die zu Wien aufgeführt worden. Rellstab in Berlin ließ Glucks Iphipenie und Orpheus 1790 mit deutschem und französischem Texte als Klavier-Auszug drucken. Seine im Mspte bekannten Opern sind: Demetrio, zu Venedig 1742. La Caduta de’ Giganti, zu London 1745. Il Triomfo di Clelia; Artamene; Semiramide; il Parnasso confuso 1765 und die Pilgrimme von Mekka, mit deutscher Poesie, welche Opern zu Wien zum erstenmale aufgeführt wurden. Ritter Gluck hatte eine Nichte Namens Maria Anna, geb. zu Wien 1759. Sie fieng in ihrem eiften Jahre an von ihrem Oheim die Musik zu lernen; allein Gluck war zu ungeduldig um den Unterricht fortzusetzen, und so erhielt sie den Sänger Millico zum Lehrer. Dieses Mädchen war eine der empfindungsvollesten Sängerinnen, war groß am Geiste, hatte ein edles Herz, und sprach und schrieb deutsch, französisch, italienisch und englisch. Ritter Gluck adoptirte sie als seine Tochter und nahm sie mit nach Paris. Ludwig der XV. und sein Nachfolger Ludwig XVI. bewunderten ihr Talent, und die Kaiserinn Maria Theresia erklärte sie zu ihren Liebling. -- Wenige Jahre nach ihrer Zurückkunst aus Paris befiel diese Künstlerin eine tödtliche Krankheit, und sie starb, ohne ein Theater betreten zu haben, in Wien den 21. April 1776. Dichter und Tonkünstler befangen ihren Tod, Kaiser Joseph II. beweinte ihren Verlust. Anm. 1: Händel betheuerte, nach seiner Art, mit einem Fluche: Gluck verstehe eben soviel vom Kontrapunkte, als sein Koch. Kapellmeister Wolf spricht ihm in der Vorrede zu seinen Klavier-Sonaten von 1785 schlechterdings die Würde eines klassischen Kompositeur’s ab. Noch mehr Schatten wirft auf unsern Gluck ein Brief, den Forkel mit Anmerkungen in seinem musikalischen Almanach Jahrg. 1789. S. 151 abdrucken ließ. Anm. 2: Melodie ist der Umriß, und Harmonie das Kolorit in einem Gemälde. Dieses Bild dürfte den Unterschied zwischen Melodie und Harmonie in der Musik am deutlichsten bezeichnen. In den ältern Zeiten hielt man Harmonie und Melodie gleichbedeutend. Forkel’s allgem. Geschichte der Musik. B. II. Par. 34. S. 503. Anm. 3: Wenn gleich ein Komponiste auch zugleich Kontrapunktist seyn soll, so ist doch zwischen beiden ein wesentlicher Unterschied. Der Gegenstand des Kontrapunktisten ist die grammatische oder schulgerechte Verbindung der Töne, und seine Hauptsache ist Korrektheit der Kunstprodukte. Der Komponiste hingegen sieht auf ästhetische Verbindung der Töne, und bezweckt nur ästetischen Werth und Ausdruck seinem Kunstwerke zu geben. Der Kontrapunktist verhält sich daher zum Komponisten, wie der Grammatiker zum Dichter. Die alten Musiker definirten den Kontrapunkt: Contrapunctus est cantus per positionem vnius vocis contra aliam punctuatim effectus. Ille, sagten sie weiters, est duplex, nempe simplex, vel diminutus. Simplex: dum nota vocis, quae contra aliam ponitur, est ejusdem valoris cum illa; diminutus, dum plures notae contra vnam per proportionem inaequalitatis aut aequalitatis ponuntur, qui a quibusdam floridus nominatur. Joan-Tinctor Musici excellentis et praeclari pictoris, nec non Sacellani primarii et Symphoniarchae Ferdinandi Regis Neapolitani Proportionale Musices.