bmlo.de/k1183/A1
1 Biographie
1.1 Persönlichkeit
Abb. 1 – Erhard Kutschenreuter im Alter von etwa 50 Jahren
Quelle: Hans Proft
Erhard Kutschenreuter war ein musikalisch hochgebildeter und dabei aber auch ein sehr geselliger Mensch. Er war vollauf und ganz und gar voller Musik – so beschrieben ihn die Landbewohner um Neukirchen bei Arnstorf, wo er sieben Jahre lang als Lehrer wirkte. Er musizierte mit seinen Schulkindern, erteilte ihnen Musik- und Gesangsunterricht. An der Expositurkirche unterhielt er einen beachtlichen Kirchenchor. Er musizierte in der Gesellschaft und in den Bauernwirtshäusern der Umgebung, und er verstand es, mit der Basszither für gute Unterhaltung zu sorgen. Er hatte jedoch öfters Schwierigkeiten, seine lebenslustige Künstlernatur mit den Dienstpflichten eines Dorfschullehrers in Einklang zu bringen. Dies führte mehrmals zu Beanstandungen und Verweisen der Schulbehörde und zu Strafversetzungen. Außerdem neigte er zu Polarisierungen und schuf sich dabei nicht nur Freunde. In Dietersburg endete ein in aller Öffentlichkeit ausgetragener Zwist mit einer Kollegin mit der Disziplinarmaßnahme einer Strafversetzung nach Rattenbach, die sich auch auf sein berufliches Weiterkommen als Lehrer auswirkte. Die zahlreichen Bewerbungen um einen anderen Dienstort, die mit einer Beförderung zum Oberlehrer verbunden gewesen wäre, blieben unberücksichtigt.
Schließlich traten auch noch gesundheitliche Probleme auf – womöglich seelisch bedingt –, so dass er schließlich 54jährig aus seinen Antrag in den "zeitlichen" Ruhestand versetzt wurde, der bis zu seiner endgültigen Pensionierung jährlich verlängert wurde.
Wenn man sein weiteres Wirken in Velden und Vilsbiburg betrachtet, schien für Kutschenreuter die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand ein Befreiungsschlag gewesen zu sein, denn nun konnte er sich, von allen Dienstpflichten befreit, voll seiner künstlerischen Berufung widmen.
Kutschenreuter war nicht nur ein äußerst erfolgreicher Komponist von Operetten und Singspielen, die dem musikalischen Geschmack der Bevölkerung entsprachen und vor allem in der Zwischenkriegszeit auf zahllosen Laienbühnen in Bayern und darüber hinaus stets mit viel Erfolg aufgeführt wurden, sondern er galt auch als Volksmusik-Sachverständiger und -forscher und wirkte weiterhin als Kirchenmusiker. Eine bemerkenswerte Leistung als Musiklehrer ist die Herausgabe der Deutschen Harmonikaschule für zweireihige, diatonische Instrumente im Jahr 1936. Darüber hinaus verfasste er in der Presse verschiedene heimatkundliche Abhandlungen.
1.2 Lebenslauf
Abb. 2 – Erhard Kutschenreuter im Jahre 1897
Quelle: Hans Proft
- 18. Juni 1973:
Erhard Kutschenreuter wird als neuntes Kind des Bahnmeisters Christian Kutschenreuter und seiner Ehefrau Anna, * Bill, im Bahnhofsgebäude in Schalding r.d.D. geboren und am selben Tag in der Kirche von Heining durch Kooperator Lorenz Geßl getauft. Taufpate war der Lehrer Erhard Nebl
- 1875:
Umzug der Familie nach Passau ins Bahnmeisterhäuschen gegenüber dem "Kollergarten" (Gasthof zur Eisenbahn)
- 1879:
Einschulung in der Volksschule St. Nikola Passau
- 12. Februar 1882:
Tod des Vaters. Zum Vormund wurde der Bruder von Kutschenreuters Mutter, der Lehrer Joseph Bill aus Passau bestellt, der ihn zu sich in Wohnung, Pflege und Erziehung aufnahm und Musikunterricht erteilte
- 1883:
Übertritt in die Realschule Passau
- 1886:
Übertritt in die Präparandenschule Passau
- 21. Januar 1889:
Tod der Mutter in Passau
- 1889-1891:
Studium am Lehrerseminar in Straubing. Abschluss mit Note 2
- 1. September 1891:
Schulpraktikant bei seinem Onkel Joseph Bill an der Volksschule St. Nikola in Passau. Nach einem Zerwürfnis mit seinem Onkel vorübergehend als Aushilfslehrer im Stift Osterhofen tätig
- 1. Dezember 1891:
Hilfslehrer in Niederhöcking
- 1. November 1893:
Hilfslehrer in Zenting
- 16. März 1895:
Hilfslehrer in Pankofen
- 16. März 1896:
Vorübergehende Entlassung aus dem Schuldienst auf eigenes Ansuchen wegen Teilnahme an einer Musikprüfung in Mindelheim
- 1. Juli 1896:
Wiederaufnahme des Vorbereitungsdienstes als Aushilfslehrer in Grattersdorf
- 16. Juni 1897:
Nach erfolgreich bestandener Anstellungsprüfung Schulpraktikant in St. Englmar
- 16. Januar 1898:
Hilfslehrer in Rainding (Bezirksamt Griesbach)
- 1. Dezember 1899:
Hilfslehrer in Rudelzhausen (Bezirksamt Mainburg), ab 16. Dezember d. J. Schulverweser
- 30. Oktober 1900:
Eheschließung mit Theres Maier (* 16. September 1874 in Elsendorf) in Rudelzhausen
- 10. September 1901:
Geburt der Tochter Theres in Rudelzhausen
- 16. November 1902:
Lehrer in Neuschönau (Bezirksamt Grafenau)
- 15. Februar 1903:
Geburt des ersten Sohnes Franz Xaver in Neuschönau. Aus Freude darüber komponiert Kutschenreuter noch am selben Tag einen Marsch. Der Förster Max Mang, der am 1. Mai 1903 seinen Dienst in Neuschönau angetreten hat, schrieb später dazu den Text. Als Waldlermarsch wurde er der wohl populärste Marsch aus Kutschenreuters Feder, nicht zuletzt auch durch seine spätere Verwendung in Kutschenreuters erfolgreicher Operette Der Holledauer Fidel
- 1. Februar 1904:
Lehrer in Oberiglbach (Bezirksamt Vilshofen)
- 4. Dezember 1907:
Der Hauptmann von Köpenick, Operette in einem Akt und einem Vorspiel, Uraufführung im Stadttheater Passau
- 17. März 1910:
Der Fremdling, Operette in drei Akten, Uraufführung im Wieninger-Saal in Vilshofen.
- 1. Dezember 1910:
Lehrer in Geratskirchen (Bezirksamt Eggenfelden)
- 10. Dezember 1910:
Geburt des zweiten Sohnes Erhard in Geratskirchen
- 1. März 1913:
Lehrer in Neukirchen bei Arnstorf
- 1914 (oder 1916?):
Die Erstfassung des Holledauer Fidel entsteht, den Text schrieb Kutschenreuter selbst
- 1. September 1914:
Einberufung zum Landsturm-Bataillon Wasserburg, am 19. September d. J. wegen Unabkömmlichkeit als Lehrer wieder entlassen
- 8. Juli 1917:
Tod seiner ersten Frau nach einer Gallenoperation in Regensburg, dort auch am 10. Juli 1917 begraben
- 7. Januar 1918:
Verleihung des König-Ludwig-Kreuzes wegen seiner Heimatverdienste während der Kriegzeit durch König Ludwig III.
- 30. April 1918:
Eheschließung mit Berta Hoppichler (* 29. Juni 1880), Lehrerstochter und Revisionsbeamtin aus Landshut in Hainberg
- 1. April 1920:
Ernennung zum Hauptlehrer
- 14. April 1920:
Uraufführung der Operette Der Holledauer Fidel im Stadttheater Passau nach Umarbeitung mit dem Libretto von Franz Josef Scherrer
Abb. 3 – Aufführung des Holledauer Fidel 1921 in Arnstorf
Quelle: Hans Proft
- 1. Mai 1920:
Versetzung nach Dietersburg (Bezirksamt Pfarrkirchen)
- 23. Juli 1922:
Ein Frühlingsmärchen, Kindersingspiel, Uraufführung in Dietersburg
- 26. Mai 1923:
Die Donauliesl, Operette in drei Akten, Uraufführung in Vilshofen
- 13. April 1924:
Der Schwur des Kreuzhofbauern, Operette, Uraufführung in Dietersburg
- 16. November 1924:
Strafversetzung nach Rattenbach (Bezirksamt Eggenfelden)
- 1. März 1927:
Vorzeitiges Ausscheiden aus dem Schuldienst aus gesundheitlichen Gründen mit Versetzung in den zeitlichen Ruhestand und Umzug nach Velden (Vils)
- 22. September 1929:
Vilsbiburg – Festspiel anlässlich der Stadterhebung von Vilsbiburg mit der Musik von Erhard Kutschenreuter. Text: P. Bonifaz Rauch OSB (geb 22. Dezember 1873 in Amberg, † 28. April 1949 in Metten)
- 22. Februar 1930:
An der böhmischen Grenz, Bauernspiel in drei Akten – Uraufführung in Vilsbiburg
- 15. Januar 1931:
Umzug nach Vilsbiburg
Abb. 3 – Kutsschenreiter bei der 3000. Aufführung des Holledauer Fidel am 19./20. November 1938 in der Passauer Nibelungenhalle mit den beiden Hauptdarstellern Rosa Radulescu-Baumann (Reserl) und Josef Spörkl (Fidel).
Quelle: Hans Proft
- 6. April 1931:
Der Holledauer Fidel Teil II – Uraufführung in Dorfen
- 20. Juni 1931:
Beim Niederbayerischen Volkssingen in Landshut wirkte Kutschenreuter als Preisrichter mit
- 1. März 1932:
Versetzung in den dauernden Ruhestand
- 16. September 1933:
Singspiel Die Handwerksburschen – Uraufführung in Rohr
- 18. November 1934:
Wintermärchen, Kindersingspiel – Uraufführung in Vilsbiburg
- 14. April 1937:
Umzug nach Landshut, Freyung 504
- 19./20. November 1938:
3000. Aufführung des Holledauer Fidel in der Nibelungenhalle Passau mit 400 Mitwirkenden
- 6. Mai 1946:
Kutschenreuter stirbt in Landshut an den Folgen eines Gehirnschlags
- 6. Januar 1949:
Tod von Kutschenreuters zweiter Frau in Landshut
2 Werke
2.1 Bühnenwerke
Der Hauptmann von Köpenick, Operette in einem Akt mit einem Vorspiel, Text: Sebastian Wieser, Benefiziat, (* 14. Januar 1879 in Hart; † 11. Oktober 1937 in Augsburg), UA am 4. Dezember 1907 im Stadttheater Passau mit zwei Reprisen
Der Fremdling, Operette in drei Akten, Text: Heinrich Schießleder, UA am 17. März 1910 durch das Operetten und Novitäten Ensemble Julie Hillebrand und Josef Kappl im Wieninger-Saal in Vilshofen – Weitere Aufführungen sind nicht bekannt
Der Holledauer Fidel, Operette in drei Akten, Text: Franz Josef Scherrer, Finanzbeamter (* 10. Juli 1890 in Passau, † 19. Mai 1946 ebd.), UA am 14. April 1920 im Stadttheater Passau
Der Holledauer Fidel ist Kutschenreuters erfolgreichstes Bühnenwerk, das 1938 bereits die 3.000. Aufführung erlebt hat und auch heute selbst von professionellen Bühnen noch gespielt wird, u.a. Südostbayerisches Städtetheater Passau (1974/75) und Freies Landestheater Bayern (2002), dabei wurde auch eine CD produziert.
Ein Frühlingsmärchen, Kindersingspiel, Text: Richard Meisl, Sparkassenbeamter, (* 8. Februar 1897 in Breitenberg, † 3. Januar 1974 in Deggendorf), UA am 23. Juni 2922 in Dietersburg
Die Donauliesl, Operette in drei Akten, Text: Franz Josef Scherrer – UA am 26. Mai 1923 in Vilshofen
Die Donauliesl wird auch heute noch gelegentlich von Laienbühnen aufgeführt, u.a. 1990/91 in Tittling (13 Vorstellungen) und 2003 in Riedering (6 Vorstellungen)
Der Schwur des Kreuzhofbauern (auch Der Bauernschwur), Operette in drei Akten, Text: Josef Bauer, Landwirt und Abgeordneter, (* 1. April 1880 in Matzöd, † 22. März 1954 in München), UA am 13. April 1924 in Dietersburg, letzte bekannte Aufführungen 1992/93 in Tittling (12 Vorstellungen)
Vilsbiburg – Festspiel zur Stadterhebung von Vilsbiburg, Text: Bonifaz (Simon) Rauch OSB (* 22. Dezember 1873 in Amberg, † 28. April 1949 in Metten), Aufführung am 22. September 1929 in Vilsbiburg
An der böhmischen Grenz', Bauernspiel in drei Akten, Text: Siegfried Jaennichen, Oberlehrer in Kirchberg bei Eggenfelden (* 1. Oktober 1884 in Deggendorf, † 23. Februar 1968 in Herrsching), UA am 22. Februar 1930 in Vilsbiburg (insgesamt 3 Vorstellungen), fünf weitere Aufführungen im Oktober 2004 in Zwiesel
Der Holledauer Fidel Teil II oder Neuigkeiten vom lustigen Fidel und der ehrengeachteten Wurmdobler-Familie, Text: Franz Josef Scherrer, UA am 6. April 1931 in Dorfen unter Leitung des Komponisten.
Die Fortsetzung von Kutschenreuters größten Bühnenerfolgs konnte nicht die Wirkung des Originals erzielen. Letzte bekannte Aufführung 1994/1995 in Tittling (10 Vorstellungen)
Die Handwerksburschen, Operette in drei Akten, Text: Marie Grüger (* 1 Juni 1867 in Reudnitz bei Leipzig; † 20. Juli 1945 in Plattling), UA am 16. September 1933 in Rohr durch die Liedertafel Rohr
Wintermärchen, Kindersingspiel, Text: Richard Meisl, UA am 18. November 1934 in Vilsbiburg
2.2 Weitere Bühnenwerke, die noch nie aufgeführt wurden
Die Glückskinder, märchenhaftes Singspiel, Text: Michael Geiger, Entstehungszeit vermutlich zwischen 1927 und 1931 in Velden
Das schöne Annamirl – Bauernposse in drei Akten, Text: Franz Josef Scherrer
Einige Melodien hat K. bei späteren Aufführungen des Holledauer Fidel verwendet
Die Hirmonhopser von Bischofsmais – Volksstück in vier Akten, Text: Richard Meisl
Der Komponist hatte dieses Stück für eine Rundfunkproduktion vorgeschlagen, zu der es aber nicht mehr gekommen ist
Der Antichrist (Ouvertüre – Im Paradis – Der Brudermord)
Anlass und Entstehungszeit sind nicht bekannt, die Partitur befindet sich im Nachlass des Komponisten im Zwieseler Waldmuseum
2.3 Kirchenmusik
Kutschenreuter schuf mehrere kirchenmusikalische Kompositionen, die jedoch nicht mehr auffindbar sind. Erhalten ist das Lied zu Ehren des seligen Konrad von Parzham (Text: P. Bonifaz Rauch OSB) für Bariton-Solo, gemischten Chor und Orchester.
2.4 Sonstige Kompositionen
Kutschenreuter schuf zahlreiche Märsche, weswegen er auch als Niederbayerischer Marschkönig bezeichnet wurde, aber auch Walzer und andere Salonmusik.
2.5 Schulwerk
1936 brachte Erhard Kutschenreuter im Leipziger Verlag Dombrowsky & Co. (Robert Wächtler) die Deutsche Harmonikaschule für alle zweireihigen, diatonischen Instrumente heraus.
3 Literaturverzeichnis
Proft, Hans: Immer froh und heiter bleibt der Kutschenreuter. Passau, 2004, ISBN 3-88849-206-8.
Reimeier, Karl-Heinz: Erhard Kutschenreuter, der "Niederbayerische Marschkönig". Grafenau 1989, ISBN 3-87553-317-9.
Wagner, Helmut [Rezension]: Erhard Kutschenreuter, der "Niederbayerische Marschkönig". In: Jahresbericht des Historischen Vereins für Straubing und Umgebung 1989, Bd. 91 (1990), S. 459.
Winklhofer, Josef: Erhard Kutschenreuter, Lehrer und Komponist. In "Heimat an Rott und Inn" 19?? S. 188.