Lipowsky 1811
Lasso, (Orlando de):
Lasso, (Orlando de). Dieser große, überall bekannte und berühmte Tonkünstler wurde zu Bergen im Henegau (1) 1532 geboren, und wegen seiner angenehmen, überaus lieblichen Sopran-Stimme zweimal aus der Schule entführt, und das drittemal von Ferdinand Gonzaga, damaligen Kais. General und Vizekönig in Sizilien nach geendetem Feldzuge als ein Knabe von 12 Jahren nach Mailand mitgenommen. Er kam von da im 18ten Jahre seines Alters mit Konstantin Castrioto nach Neapel, hielt sich daselbst ungefähr drei Jahre beim Marchese de la Terza auf, gieng dann nach Rom, wo er ungefähr ein halbes Jahr beim Erzbischofe von Florenz als Gast sich verweilte, und hierauf als Kapellmeister an der lateranensischen Johannes-Kirche angestellt wurde. Nachdem er zwei Jahre als Kapellmeister an dieser Kirche gedient hatte, verließ er Rom, und begab sich in das Vaterhaus zurück, weil eine todesgefährliche Krankheit seine Aeltern befallen hatte. Da aber diese bei seiner Ankunft schon vom Tode dahingeraft waren, durchreiste er mit Julius Cäsar Brancacci, einem vorzüglichen Liebhaber der Tonkunst, Engeland und Frankreich, kehrte da nach Flandern zurücke, und hielt sich zwei Jahre in Antwerpen auf. Hier erhielt er vom Albert V, Herzoge von Baiern, einen Ruf an sein Hoflager, dem er folgte, und daher 1557 in München eintraf. (2). Alle Höfe, an welchen nur einiger Geschmack blühte, warben in die Wette um diesen großen Künstler; allein er verließ seinen Herzog nicht, indem er, wie Bianconi sich ausdrückt, einen Herrn, der ein Kenner war, allen denjenigen, die nur Liebhaber waren, vorzog. Im folgenden Jahre seiner Ankunft in München, 1558 nämlich, verheirathete er sich mit der Herzoglichen Kammerdienerinn Regina Weckinger, und 1562 wurde er vom Herzog Albert zum obersten Hofkapellmeister befördert (3). Den 7. Dez. 1570 erhob Kaiser Maximilian II. ihn und seine Nachkommen auf dem Reichstage zu Speier in den Adelstand, und in eben diesem Jahre berief ihn König Karl IX. von Frankreich nach Paris, wohin Orlando de Lasso auch abreiste. Daselbst wurde ihm die Kapellmeisters-Stelle angetragen; da aber indessen der König gestorben war, Herzog Albert V. ihn nicht gerne seiner Dienste entließ, und ebendaher ihm neue Geschenke machte, so kehrte er den 17. Mai 1571 nach München zurücke. Den 6. April 1574 ehrte Pabst GregorXIII. sein Talent und seine Verdienste um die Tonkunst dadurch, daß er ihn mit dem vergoldeten Schwerte und Sporn zum Ritter des heil. Petrus ernannte, und zu Rom mit den gewöhnlichen Ceremonien creirte. Herzog Albert V. schätzte und liebte diesen berühmten Kapellmeister so sehr, daß er ihn nicht nur mit Gnaden und Geschenken reichlich belohnte, sondern auch ihm den 23. April 1579 versicherte, daß er seinen jährlichen Gehalt von 400 Gulden lebenslänglich ohne allen Abzuge oder Verminderung fortbeziehen solle. Durch H. Albert des V. Tode, (den 24. Oktober 1579.) verlor Orlando de Lasso weder an seiner Achtung, noch am Gehalte. Dessen Thronfolger H. Wilhelm V. schätzte diesen Künstler sehr, und bestättigte ihm daher nicht nur ebenfalls den Fortbezug seines Jahrgehaltes mit 400 Gulden, sondern schenkte ihm den 17. Jäner 1587 einen Garten zu Giesing, und versicherte noch überdieß den 6. Nov. des nämlichen Jahres dessen Gattinn Regina eine jährliche Pension von 100 Gulden, im Falle Orlando Lasso vor ihr sterben sollte, als Leibgeding. Dieser große Tonkünstler, und allgemein berühmte Kapellmeister, der 37 Jahre am baierischen Hofe zu München gedient hatte, starb daselbst den 3. Junius 1595, und wurde bei den Franziskanern begraben. Sein Grabmal aus Marmor hat folgende Innschrift: MDXCV. Orlandi cineres, eheu! modo dulce loquentes Nunc mutos, eheu! flebilis vrna premit. Lassae sunt Charites flendotua funere Lasse, Principibus multum, chareque Caesaribus. Belgica, quem tellus genitrix dedit ingeniorum, Ingeniorum altrix boica fovit humus. Corporis exuvias eadem quoque Boja texit, Post lustra ac hyemes sena bis acta duas. Robora, Saxa, feras Orpheus, at hic Orphea traxit, Harmoniaeque duces perculit harmonia.Nunc quia complevit totum concentibus orbem, Victor cum superis certat apud superos.
Schon bei seinen Lebzeiten wurden eine Menge Lobgedichte etc. auf ihn verfertiget. Der berühmte Herzoglich baierische Kupferstecher Johann Sadeler stach 1593 des Orlando de Lasso Bildniß in Kupfer mit dem Beisatze der folgenden Verse: Hic ille Orlandus, lassum qui recreat orbem, Discordemque sua copulat harmonia.
Albrecht Fürst, ein geborner Münchener, verfertigte auf des Orlando de Lasso Zurückkunft von Paris ein Gedicht. Ein Unbekannter stach sein Stammwappen in Kupfer, mit folgender Unterschrift: Orlandi Lassi quicunque insignia cernis, Siste parum, vigili singula mente nota. Ut Sol illustrat totum pulcherrimum orbem, Orlandum mundi sic plaga quaeque canit. Herculeo cedunt animantia cuncta Leoni, Cedit at Orlando musica turba lubens. Crux monstrat veteris tibi Religionis amicum, Coetera tu tacito pectore volve licet.
Nach seinem Tode hielt Christoph Caldenbachius, Professor der Beredsamkeit zu Tübingen, 1664 eine Dissertationem musicam, worinn die fünfstimmige Motte des Orlando de Lasso: In me transierunt etc. nach den Regeln der Komposition examinirt worden. Respondens ist gewesen Elias Walther, von Arnstadt gebürtig, der diese Dissertation dem Herzoge von Sachsen-Gotha ehrfurchtsvoll gewidmet hatte.
Ehe ich hier zu dieses grossen Tonkünstlers hinterlassenen musikalischen Werken übergehe, wird die Anführung folgender Anekdote den Lesern, und Freunden dieses großen Mannes nicht unwillkommen seyn. Am Donnerstage des Frohnleichnams-Festes 1684 brach morgens frühe um 4 Uhr ein heftiges Gewitter aus, dem ein starker Regen folgte. Als die Zeit herannahete, wo die Prozession ausgehen sollte, ließ Herzog Wilhelm V. auf dem Thurme der Pfarrkirche zum heil. Peter, wo die Prozession ausgieng, und wobei der anwesend gewesene Fürstbischof von Eichstädt die Evangelien halten sollte, nachsehen, ob sich nicht Spuren am Horizonte zeigten, welche eine günstige Witterung vermuthen ließen; allein jede Hoffnung war dahin, weil man, so weit das Aug von diesem Thurme reichen konnte, nur schwarze Regenwolken wahrnahm. Bei diesen Umständen beschloß daher der Herzog in der Kirche die vier Evangelien singen zu lassen, und Orlando de Lasso sang mit seiner Kapelle die Motette: Gustate et videte, quam suavis sit dominus timentibus eum, et confidentibus ei. Als diese Motette gesungen war, erheiterte sich sogleich der Himmel, und da es zu regnen aufhörte, gieng die Prozession unter dem Jubel und Jauchzen des frommen Volkes, das hier ein Wunder wahrzunehmen glaubte, und diese Erscheinung als eine absonderliche Fügung Gottes dankbar anerkannte, in feierlichem Zuge in den Strassen der Stadt umher. Nach geendigter Prozession verschwand auch sogleich die günstige Witterung, und es fiel ein starker Platzregen darnieder. Lange nachher wurde diese Motette gesungen, wenn ein Bittgang um eine schöne Witterung statt hatte. Westenrieder’s Beitr. (München 1794.) B. V. S. 134. Desselben Jahrbuch der Menschengeschichte in Baiern. B. I. S. 370. Forkel’s Musik-Almanach. Jahrgang 1784. S. 161. Christoph Freihr. v. Aretin. Mspt. Draudii Bibl. classica. p. 1645. Mattheson Crit. Mus. II. p. 105. Parnass. boic. B. V. Mein baier. Künstlerlerlexikon. B. I. S. 238. u. B. II. S. 256. Musikalische Realzeitung 1789. Monat Junius.
Orlando de Lasso hat eine Menge musikalischer Werke (4) mit lateinischen, italienischen und deutschen Texten in den Jahren 1565, 1566, 1568, 1570, 1571, 1573, 1576, 1577, 1580, 1582 u. s. w. zu München, Nürnberg, Paris, Venedig, Antwerpen und Löwen drucken lassen, deren über zwanzig seine Söhne gesammelt und in lateinischer Sprache zu München 1604 herausgegeben haben, unter folgendem Titel: Magnum Opus musicum Orlandi de Lasso Capellae bauaricae quondam Magistri, complectens omnes Cantiones, quas motettas vulgo vocant, tam antea editas, quam hactenus nondum publicatas, ab Auctoris filiis summo studio collectum, et impensis eorum typis mandatum. (Monachii 1604.)
Wie sehr Herzog Albert V. von Baiern die Werke dieses großen Künstlers schätzte, geht unter andern auch daraus hervor, daß er die von demselben in Musik gesetzte sieben Bußpsalme, verschiedene Kirchengesänge, und einige lateinische Oden des Horatz, für seinen Privatgebrauche durch Mathias Frieshammer von München auf das reinste Pergament prächtig schreiben, und von seinem Hofmaler Johann Mielich von Blatt zu Blatt, u. von Seite zu Seite mit schönen Migniatur-Gemälden zieren, von Kaspar Ritter herrlich in braunen Savian einbinden, dann von Georg Sechkeim, aus Ungarn gebürtig, mit Silber von emaillirt und vergoldeter Arbeit sehr schön, und dergestalt schwer beschlagen ließ, daß das hierzu für beide Bände verbrauchte Silber zwölf Pfunde wäget. Wegen der unzählig vielen in diesen zwei Bänden angebrachten Gemälden mußte Samuel von Quieicheberg besondere Erklärungen hierüber in lateinischer Sprache verfassen, welche so weitläufig ausfielen, daß dieselbe auch zwei Folio-Bände ründen, welche sehr schön geschrieben und eingebunden, dann die Einbände hievon ebenfalls mit Silber beschlagen wurden.
Anm. 1: Die Niederlande waren im sechszehenten Jahrhundert eine allgemeine musikalische Pflanzschule für ganz Europa und konnten alle Höfe und große Städte mit Tonkünstlern und Komponisten eben so versorgen, wie es ein Jahrhundert später Italien gethan. -- Die Belgier nannte man die Patriarchen der Musik, welche von der Natur mit einer schönen Stimme begabt waren, und ein vorzügliches Talent zur Musik und Komposition besassen. Forkel’s allgem. Geschichte der Musik. B. II. S. 479.
Anm. 2: Im Jahre 1577 waren bei der Herzogl. Hofmusik in München besoldet, (Worte der Urkunde) 11 Pusauner; 9 Trumeter (Trompeter); 1 Paukher; 7 Geiger; 7 Bassisten; 7 Tenoristen, und 3 Altisten. Im J. 1593 aber bestand sie unter diesem Kapellmeister aus folgenden Individuen: Hanns Fischer, und Christian Hug, beide Bassisten. Heinrich de Blau, Wolf Schönsleder, Rudolph Lasso, Peter Ant. Pietra und Ferdinand Lasso, Tenoristen. Caspar Thainer, Altist. Johann Geringer, Wolf Fischer, Jonas Bassonius, und Jakob Carlo, Bassisten bei den Jesuiten. -- Instrumentalisten waren: Vilenus Cornezano; Balthasar Cornezano; Herkules Tertius (zugleich Clemosinär); Julius Gilgi; Johann Haaß; Martin Alonso (zugleich Herzogl. Kammerdiener); Ant. Patard; Jakob Baumann; Horatius Sega; Antonius Morari; Mathias Bisutius; Ernest de Lasso. -- Wilhelm Pichler, Organist. Neun Hoftrompeter und zwei Paucker; dann Joh. Landtschreiber der castrirten Buben -- wie sich das Manuscript ausdrückt -- Aufseher, um wegen sechs Buben jeden Tag für einen Liefergeld fünf Kreutzer und für seine Mühe mit denselben jährlich zehen Gulden. Westenrieder’s Beitr. III. 85. u. 110.
Anm. 3: Im Jahre 1560, ehe er also Kapellmeister geworden, gab Orlando de Lasso zu München auch Unterricht in Zinkenblasen. Westenrieder’s Beiträge. III. 71.
Anm. 4: Man glaubt den Künstlern und Freunden der Tonkunst einen angenehmen Dienst zu erweisen, wenn man nur einiger musikalischen Werke dieses grossen Kompositeurs hier noch erwähnet: a) Lamentationes Jeremiae Prophetae quatuor vocum. (Mspt.) b) Missa venatorum (Jagd-Messe) authore Orlando Lasso. c) Missa für die Passions-Woche. (Mspt.) d) Cantiones sacrae in septimana sancta, in dominica Palmarum et in monte Oliveti. (Mspt.) e) Cantiones sacrae pro adventu vsque ad Pascha. (Mspt. Am Ende stehet: Finitum 1583 den 5. April.) f) Vigiliae mortuorum, Magnificat et Libera. g) Passio D. N. J. C. secundum Lucam et Marcum. (Mspt. Am Ende desselben ist geschrieben: Finitum 1582 28. Martii.) h) Dies irae, dies illa etc. (Mspt.) i) Passio D. N. J. C. secundum Joannem. (Mspt. Finitum 1580 mense Martii.) k) Missa pro defunctis 5 vocum. 1) Missa. (Mspt. Finit. 1580 mense Novembr.) m) Missa (Finit. 1580 mens. Oct.) n) Cantiones sacrae in nativitate Domini. (Mspt.) o) Lytaniae omnium sanctorum (werden noch heut zu Tage in der Hofkapelle am Charsamstag gesungen.) p) VII. Missae et Requiem Auth. Orlando de Lasso 1558, prächtig auf Pergament geschrieben. Vor dem Anfange einer jeden Messe ist vom Hanns Mielich ein prächtiges Gemälde angebracht, und auf dem vor der Seelen-Messe eine baierische Herzoginn vorgestellt. q) VI Missae, eben so schön auf Pergament geschrieben, aber nur bei einer Messe ein Gemälde angebracht, das noch nicht vollendet ist. r) In exitu Israel, 6 vocum, (Finitum 1581, den 15. Jul.) Salve Regina -- (Finit. 1581, 14. Aug.) Salve Regina. (den 18. Dezember 1579.) s) Magnificat gedruckt 1587 zu München bei Adam Berg u. s. m.