Gustav Mahler stammte aus einer deutschsprachigen böhmisch-mährischen jüdischen Familie (1897 trat er zum Katholizismus über) und begann nach seinen musikalischen Studien in Wien am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde (1875-1878, u.a. bei Robert Fuchs) und der Universität (Harmonielehre bei Bruckner) seine Karriere zunächst als Dirigent, vor allem als Opernkapellmeister (Bad Hall, Laibach, Olmütz, Kassel, Prag, Leipzig, Budapest); seiner ersten dauerhafteren Anstellung als Erster Kapellmeister am Stadttheater in Hamburg (1891-1897) folgte die als Hofoperndirektor in Wien (1897-1907). 1907 wurde Mahler als Dirigent der Metropolitan Opera in New York engagiert, so dass er in den folgenden Jahren jeweils die Wintersaison in den USA und die Sommermonate in Europa verbrachte, wo er weiterhin Gastdirigate gab und an seinen Kompositionen arbeitete.
Seine Werke stießen zunächst auf zwiespältige Aufnahme und setzten sich erst allmählich durch, besonders nach der Mitte des 20. Jahrhundert. Im Unterschied zum auf die Oper konzentrierten Repertoire, das Mahler dirigierte, überwiegen in seinem kompositorischen Œuvre Lied und Symphonie, die sich jedoch als Gattungen gegenseitig beeinflussen und anregen. Die Lieder umfassen sowohl Klavier- als auch Orchesterlieder. Bis zur Jahrhundertwende stammen ihre Texte vor allem aus der Sammlung Des Knaben Wunderhorn, ab 1901 dann aus Friedrich Rückerts Dichtungen. Das Lied von der Erde schließlich verwendet einen Text aus Hans Bethges Nachdichtungen Die chinesische Flöte. Die Symphonien prägen sehr individuelle Konzeptionen aus, die durch die Einbeziehung von Material unterschiedlicher Stilebenen und besonders vokaler Elemente die Gattungsgrenzen erweitern.
Internationale Gustav-Mahler-Gesellschaft: Zur Chronologie von Mahlers Leben http://www.gustav-mahler.org/mahler/chrono-f.cfm
In München trat Gustav Mahler als Dirigent in Erscheinung; zudem wurden hier drei bedeutende Werke uraufgeführt: die Vierte und Achte Symphonie sowie das Lied von der Erde. Über diese Erst- und Uraufführungen hinaus wurden in den Jahren 1900-1910 alle symphonischen Werke Mahlers in München aufgeführt.
In München dirigierte Mahler erstmalig am 2.2.1897 ein Konzert des Kaim-Orchesters (der späteren Münchner Philharmoniker, zwischenzeitlich auch unter dem Namen Konzertvereins-Orchester) mit einem Programm, das Werke von Ludwig van Beethoven, Hector Berlioz und Richard Wagner umfasste. In der Folge leitete Mahler in München selbst die Erstaufführungen der Zweiten (1900), Sechsten (1906) und Siebten Symphonie (1908) sowie die Uraufführungen der Vierten (1901) und Achten Symphonie. Letztere fand mit dem erweiterten Konzertvereins-Orchester am 12. September 1910 (wiederholt am Tag darauf) im Rahmen des Musikfestsommers 1910 statt, der Teil der Ausstellung München 1910 war und u.a. Konzertreihen zu Ehren von Robert Schumann und Richard Strauss sowie ein Französisches Musikfest umfasste. Im Publikum waren zahlreiche Musiker anwesend: Richard Strauss, Max Reger, Siegfried Wagner, Arnold Schönberg, Alfredo Casella, Anton von Webern, Franz Schalk, Leopold Stokowski, Bruno Walter, Willem Mengelberg, Oscar Fried, Otto Klemperer (zur Vorab-Korrespondenz mit Webern s. Hilmar-Voit 1984, 12). Die außergewöhnlichen Dimensionen der Aufführung (die teilweise durch den Konzertveranstalter Emil Gutmann besonders in den Vordergrund gestellt wurden) sorgten für eine entsprechende öffentliche Aufmerksamkeit. Die Reaktion des Publikums war eindeutig positiv; die Aufführung löste jedoch auch heftige Diskussionen aus (vgl. Holland 1985, 197ff).
Für die von ihm selbst geleiteten Aufführungen wählte Mahler stets das Kaim-Orchester, das zudem die Dritte (1904) und Erste Symphonie (1905) unter seinem Dirigenten Bernhard Stavenhagen erstaufführte. Damit erklangen die meisten Symphonien Mahlers relativ bald nach ihrer jeweiligen Uraufführung auch in München.
Etwa ein halbes Jahr nach Mahlers Tod fanden in München zwei Gedenkkonzerte statt, ein ausschließlich Mahler gewidmeter Liederabend am 19. November 1911 mit der Altistin Mme. Charles Cahier (i.e. Sarah Jane Walker), begleitet von Bruno Walter, und am 20.11.1911 die Uraufführung des Liedes von der Erde (Mme. Cahier, William Miller) zusammen mit der Zweiten Symphonie, organisiert durch das Konzertbureau Emil Gutmann.
Die Münchner Erstaufführung des nachgelassenen Adagios der unvollendeten Zehnten Symphonie fand am 17. Dezember 1931 durch die Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Herrmann Scherchen statt; dies war zugleich die letzte Mahler-Aufführung der Münchner Philharmoniker bis 1945 (Holland 1994, 187). Die Zehnte Symphonie wurde vollständig in der Bearbeitung von Deryck Cooke erst 1966 unter Berthold Goldschmidt im Rahmen der Konzertreihe musica viva aufgeführt (Schmidt-Garre in NZfM 127, 1966, 64f; Herrmann in Musica 20, 1966, 63).
(vgl. Dorfmüller 1987)
Datum | Aufführung | Werk | Dirigent | Klangkörper |
---|---|---|---|---|
1900 Okt. 20 | EA | Symphonie Nr. 2 | Gustav Mahler | Kaim-Orchester |
1901 Nov. 25 | UA | Symphonie Nr. 4 | Gustav Mahler | Kaim-Orchester |
1904 Feb. 23 | EA | Symphonie Nr. 3 | Bernhard Stavenhagen | Kaim-Orchester |
1905 März 23 | EA | Symphonie Nr. 1 | Bernhard Stavenhagen | Kaim-Orchester |
1906 Nov. 8 | EA | Symphonie Nr. 6 | Gustav Mahler | Kaim-Orchester |
1908 Okt. 27 | EA | Symphonie Nr. 7 | Gustav Mahler | Kaim-Orchester |
1910 Feb. 14 | EA | Symphonie Nr. 5 | Ferdinand Löwe | Konzertvereins-Orchester |
1910 Sept. 12 u. 13 | UA | Symphonie Nr. 8 | Gustav Mahler | Konzertvereins-Orchester |
1911 Nov. 20 | UA | Das Lied von der Erde | Bruno Walter | Konzertvereins-Orchester |
1921 Nov. 10 | EA | Symphonie Nr. 9 | Frederic Charles Adler | o.A. |
1931 Dez. 17 | EA | Symphonie Nr. 10 (Adagio) | Hermann Scherchen | Münchner Philharmoniker |
1966 | EA | Symphonie Nr. 10 (Fassung Deryck Cooke) | Berthold Goldschmidt | o.A. |
Nach den Ur- bzw. Erstaufführungen fanden in München weitere Aufführungen von Mahlers Werken sowohl durch das Kaim- (bzw. Konzertvereins-) Orchester als auch durch das Tonkünstlerorchester statt. Das nach der Krise des Kaim-Orchesters 1908 aus etlichen von dessen Musikern gebildete Tonkünstler-Orchester unternahm in den Jahren 1909-1911 unter der Leitung von Josef Lassalle Tourneen mit Mahlers Erster und Vierter Symphonie. Eines der Konzerte war dabei am 2. Mai 1909 mit der Ersten Symphonie die Erstaufführung einer Mahler-Symphonie in Paris (Kritik Alexander Reichels einer Aufführung der ersten Symphonie auf dieser Tournee in einer ungenannten Stadt: Schweizerische Musikzeitung und Sängerblatt, Zürich, Nr. 20, 13.9.1909, 327-329).
Datum | Werk | Dirigent | Klangkörper |
---|---|---|---|
1900 Nov. 1 | Symphonie Nr. 2 | Bernhard Stavenhagen | Musikalische Akademie |
1906 Nov. 14 | Symphonie Nr. 6 | Bernhard Stavenhagen | Kaim-Orchester |
1909 März 9 | Symphonie Nr. 1 | Josef Lassalle | Tonkünstler-Orchester |
1909 März 23 | Symphonie Nr. 1 | Josef Lassalle | Tonkünstler-Orchester |
1909 Herbst | Symphonie Nr. 4 | Josef Lassalle | Tonkünstler-Orchester |
1910 Dez. 19 | Symphonie Nr. 1 | Ferdinand Löwe | Konzertvereins-Orchester |
1911 Nov. 6 | Symphonie Nr. 6 | Ferdinand Löwe | Kindertotenlieder (Konzertvereins-Orchester, Dir.) |
1911 Nov. 19 | Lieder | Alt: Sara J. Cahier-Walker, Klavier: Bruno Walter | |
1911 Nov. 20 | Symphonie Nr. 2 | Bruno Walter | Marie Möhl-Knabl, Sara J. Cahier-Walker, Augsburger Oratorienverein, Konzertvereins-Orchester |
1911 Nov. 24 | Symphonie Nr. 4 | Ernst v. Schuch | Musikalische Akademie |
1912 Aug. | Symphonie Nr. 7 | Ferdinand Löwe | o.A. |
1915 Frühjahr | Symphonie Nr. 4 | Bruno Walter | Musikalische Akademie, Sopran: Maria Ivogün |
1916 Feb. 7 | Das Lied von der Erde | Bruno Walter, Luise Willer | o.A. |
1920 Herbst | Oberon | Bruno Walter | o.A. |
1929 Nov. 21 | Symphonie Nr. 4 | Bruno Walter | Münchner Philharmoniker |
1930 Nov. 25 | Lied von der Erde | Bruno Walter | Münchner Philharmoniker, Alt: Louise Walter, Tenor: Robert Butz |
1946 April 4 | Symphonie Nr. 2 | Hans Rosbaud | Münchner Philharmoniker |
1946 Nov. 28 | Symphonie Nr. 3 | Hans Rosbaud | Münchner Philharmoniker |
1947 Juli 4 | Symphonie Nr. 7 | Hans Rosbaud | Münchner Philharmoniker |
Die Münchner Erst- und Uraufführungen bildeten für Mahler wichtige Stationen seiner künstlerischen Biographie: Die erfolgreiche Münchner Erstaufführung der Zweiten Symphonie markierte Mahlers Durchbruch als Komponist, die Uraufführung der Achten Symphonie (Symphonie der Tausend) schließlich stellte den wohl größten Erfolg in seiner Karriere dar. Die Uraufführung der Vierten Symphonie hingegen wurde zunächst überwiegend kritisch rezipiert.
Das Kaim-Orchester trug durch die gelungenen Erst- und Uraufführungen der Symphonien zum Erfolg von Mahlers Werken bei. Mahlers Verbindung mit diesem Orchester lag in seiner Wertschätzung von dessen musikalischer Qualität begründet, weshalb er es auch für alle von ihm selbst geleiteten Aufführungen eigener Werke in München wählte. Sein erstes Dirigat dieses Orchesters am 24. März 1897 kann zudem als Versuch intendiert gewesen sein, dessen vakante Leitung zu übernehmen, konkrete Angebote für eine Ansiedlung in München blieben aber aus. (Nach Mahlers erstem Konzert mit diesem Orchester führte es das Andante aus seiner Zweiten Symphonie bereits am 3.3.1898 in Wien auf.) Eine 1908 offenbar erneut ernsthaft erwogene Übersiedlung Mahlers nach München kam jedoch nicht zustande.
Grundsätzlich stieß Mahlers Werk zu seinen Lebzeiten in München auf eine relativ positive Aufnahme. Anlässlich des Gedenk-Liederabends bestätigt eine Kritik von Eugen Schmitz die Aufgeschlossenheit des Münchner Publikums für Mahler: Der ehemalige Direktor der Wiener Hofoper hat als Komponist immer ganz spezielle Fühlung mit dem Münchner Musikleben gehabt. […] Und nun ist München auch mit der Veranstaltung einer großzügigen künstlerischen Gedenkfeier für den Dahingeschiedenen vorausgegangen, deren warmer, begeisterter Erfolg aufs neue zeigte, dass man für Mahlers Musik hier ein ‚Organ’ besitzt. (AMZ 38, 1911, 1230)
Neben ihrer Bedeutung als Ereignisse des Münchner Musiklebens hatten die in München stattgefundenen Uraufführungen von Mahlers Werken ein deutschland- bzw. europaweites Echo, wie die Anzahl der Kritiken in der internationalen Musikpresse verdeutlicht. Die zeitgenössische Rezeption bezieht dabei stets die allgemeine Ebene der Bewertung von Mahlers Werk mit ein, die durchaus kontrovers war, und lässt sich deshalb nicht auf die regionale Perspektive beschränken.
(nach Vondenhoff 1978-1997; s.a. Weiß 2003)
(cf. Lied von der Erde)
In der Forschung ist die Präsenz Mahlers in München besonders in Zusammenhang mit der Aufführungsgeschichte seiner Werke und der Geschichte der aufführenden Orchester thematisiert worden (zu diesen Aspekten vgl. v.a. Altmann 1986, Dorfmüller 1987, Holland 1985 und 1994, Weiß 2003); besondere Beachtung fand dabei das Musikfest von 1910. Eine Aufarbeitung der Mahler-Aufführungen in München bis zur Gegenwart sowie in anderen bayerischen Städten steht noch aus, ebenso die weitergehende Untersuchung der Reaktion des künstlerischen Umfelds in München auf Mahlers Werk.
Die Bayerische Staatsbibliothek München (D-Mbs) konnte – aufbauend auf einem älteren, aber sehr geringen Bestand an Mahler-Autographen – 1998 und 1999 insgesamt 22 Musikhandschriften (Skizzen und Entwürfe zu sieben Symphonien und Klavier- und Orchesterliedern) sowie Korrespondenz aus der Sammlung von Hans Moldenhauer erwerben. Sie besitzt damit eine sehr bedeutende Sammlung von Mahleriana. Außerdem befindet sich in den Beständen der BSB ein umfangreicheres Konvolut Briefe aus dem Besitz von Henry-Louis de La Grange, das bereits 1996 angekauft wurde. Diese Sammlung bietet besonders mit den zuvor nicht zugänglichen Manuskripten aus den Moldenhauer-Archiven reiches Material für die philologische Forschung (Katalog: Kulturstiftung der Länder 2003).
(Stand: 20.10.2008)