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Novák, Jan, * 8. April 1921 Nová Ríše, † 17. November 1984 Neu-Ulm, Komponist

1   Herkunft und Ausbildungsjahre

Jan Novák wurde am 8. April 1921 als Sohn eines Kleinkaufmanns in dem südwestmährischen Ort Nová Ríše geboren. Er wuchs im Umfeld des dortigen Prämonstratenserklosters und später im Jesuitengymnasium von Velehrad auf. Nach dem Abitur in Brünn studierte er ab 1940 am Brünner Konservatorium Komposition bei Vilém Petrželka, Klavier bei František Schäfer und Dirigieren bei B. Liška, unterbrochen von zweieinhalb Jahren Zwangsarbeit im NS-Deutschland während des Zweiten Weltkriegs. Er schloss sein Studium 1946 mit einer Tanzsuite für Orchester und einem Streichquartett ab und studierte anschließend für je ein Semester an der Akademie der musischen Künste in Prag bei Pavel Borkovec und an der Janácek-Akademie in Brünn wiederum bei Petrželka. Durch ein Stipendium der Ježek-Stiftung konnte er 1947/48 in den USA zunächst am Berkshire Music Centre in Tanglewood bei Aaron Copland und dann in New York bei Bohuslav Martinu studieren, den er zeitlebens als Lehrer verehrte. 1948 kehrte er trotz der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei in seine Heimat zurück und ließ sich in Brünn nieder.

2   Künstlerische Tätigkeit

1949 folgte die Heirat mit der Pianistin Eliška (Elissa) Hanousková, mit der er ein Klavierduo bildete; mit ihr führte er auch eigene Werke auf (u.a. das Konzert für zwei Klaviere und Orchester beim Festival Warschauer Herbst 1956). Abgesehen von einer kurzen Tätigkeit als Korrepetitor an der Brünner Staatsoper Anfang der 1950er-Jahre lebte Novák als freischaffender Komponist in Brünn. Er arbeitete mit Brünner Theatern sowie mit verschiedenen Filmregisseuren (u.a. Karel Kachyna, Jirí Trnka) zusammen. 1963 gründete er gemeinsam mit anderen Musikern und Musiktheoretikern (Josef Berg, Miloslav Ištvan, Alois Pinos, Zdenek Pololáník) in Brünn die Schöpferische Gruppe A (Tvůrčí skupina A), die sich dann auch Parasiti Apollinis nannte und sich mit zeitgenössischer Kompositionstechnik in Opposition zur offiziellen sozialistischen Lehrmeinung beschäftigte.

3   Emigration nach Italien

Nováks liberale Haltung brachte ihn mit dem kommunistischen Regime in Konflikt (vorübergehender Ausschluss vom tschechoslowakischen Komponistenverband 1961; Entzug staatlicher Aufträge). Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im Sommer 1968 kehrte er von einer Auslandsreise nicht in die Tschechoslowakei zurück, sondern ließ sich mit seiner Familie erst in Århus (Dänemark) nieder, wo er zeitweise als Korrepetitor am Theater arbeitete. 1970 übersiedelte er nach Rovereto (Italien), wo er für drei Jahre als Klavierlehrer an der städtischen Musikschule tätig war. In Rovereto pflegte Novák vor allem auch Kontakt zu Liebhabern des Lateinischen, das seit den ausgehenden 1950er-Jahren einen der Schwerpunkte seines kompositorischen und auch dichterischen Schaffens darstellte. Er gründete den Chor Voces Latinae, der sich hauptsächlich der profanen lateinischen Chorliteratur widmete, und veranstaltete in Rovereto 1972 die Musikfestspiele Feriae Latinae.

4   Umzug nach Deutschland

Auf Drängen seiner Familie verließ Novák 1977 Rovereto und lebte bis zu seinem Tod als freischaffender Komponist in Neu-Ulm. Zuletzt hatte er einen Lehrauftrag an der Stuttgarter Musikhochschule inne. Auch in Deutschland war Novák in Kontakt mit Vertretern des Lebendigen Lateins und veranstaltete 1983 zusammen mit Wilfried Stroh (Universität München) erstmals Lateinfestspiele (Ludi Latini) im württembergischen Ellwangen. Im Zusammenhang damit wurde im Oktober 1984 in München die Sodalitas ludis Latinis faciundis (http://www.sodalitas.de/) gegründet, die unter anderem zur Aufgabe hat, Nováks lateinisches Schaffen zu dokumentieren (Archiv an der Universität München) und das Erbe ihres geistigen Vaters, der am 17. November 1984 in Neu-Ulm verstarb, weiterzupflegen. Im Jahr 2003 wurde an der Musikschule Rovereto (Civica Scuola Musicale 'Zandonai') unter der Ägide von Nováks Schülerin Marvi Zanoni ein Laboratorio Novák eingerichtet, das sich zum Ziel setzt, das Werk Jan Nováks als Komponist und als Lateiner zu pflegen und in Veranstaltungen einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren.

In der Tschechoslowakei wurde Novák erst nach dem Umsturz 1989 rehabilitiert. Dort konnten 1990 wichtige Werke (Aesopia, Dulcitius) uraufgeführt werden. Von Präsident Václav Havel erhielt Novák 1996 posthum die Verdienstmedaille des Landes.

5   Werke

Das vielseitige und umfangreiche Schaffen Jan Nováks umfasst Instrumentalkompositionen für Orchester und kammermusikalische Besetzungen, Vokalwerke, eine Oper, Bühnenmusiken und Kompositionen für Filme und Hörspiele. Daneben verfasste Novák lateinische Texte, insbesondere Gedichte (Gedichtbände: Ludicra [1965], Suaviloquia [1966]; viele weitere Einzelgedichte, darunter den von der niederländischen Königlichen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnete Furens tympanotriba über den russischen Einmarsch in die CSSR), Dialoge und die kompositionstheoretische Schrift Musica Poetica Latina. Kompositionen aus seiner Studienzeit hat Novák später aus der Liste seiner Werke gestrichen, unter anderem einen Liederzyklus für Sopran, Streicher und Klavier nach Texten des Hohen Liedes (1941), der bereits die spätere intensive Beschäftigung mit lateinischen Texten andeutet.

In den Werken der 1950er-Jahre ist der Einfluss Bohuslav Martinus spürbar, dem Novák vor allem die Technik der Motivbehandlung und die reiche Rhythmik (etwa in den 1955 entstandenen Baletti a 9 für Nonett) verdankt. Für Novák war die Begegnung mit Martinu nach eigenem Empfinden von fundamentaler Bedeutung. Mit dessen Werk setzte er sich auch kompositorisch auseinander (Variationen über ein Thema Bohuslav Martinus aus dessen Field Mass [Variace na téma Bohuslava Martinu] in einer Fassung für zwei Klaviere [1949] und für Orchester [1959]; Bearbeitung von Martinus Concertino für Klavier und Orchester für zwei Klaviere [1956]). Noch dem neoklassizistischen Stil verpflichtet ist das Konzert für Oboe und Orchester (1952), ehe Novák mit Elementen des Jazz (Konzert für zwei Klaviere und Orchester [1955]; Capriccio für Violoncello und Orchester [1958]; Concertino für Bläserquintett [1957]), mit Dodekaphonie und serieller Technik (Capriccio für Violoncello und Orchester [1958]; Toccata georgiana per organo [1963]; Dulces cantilenae für Sopran und Violoncello [1961] auf eine Bearbeitung des Hohen Liedes durch Ianus Campanus Vodnianus; Passer Catulli für Bass und Nonett [1962] auf einen Text Catulls) und mit Aleatorik experimentierte (Ioci vernales für Bass, Oktett und Tonband [1964] auf Texte aus den Carmina Burana). Er rief damit heftige Kritik seitens der sozialistisch geprägten Rezensenten hervor. Der Dodekaphonie, die Novák offenbar als überholt (vgl. Nováks einleitende Verse zu den Dulces cantilenae) und zu einschränkend empfand, kehrte er aber nach wenigen Jahren den Rücken, um sich wieder dem Neoklassizismus zuzuwenden. Nováks neoklassizistische Ausrichtung ging eine Synthese mit seiner zunehmenden Beschäftigung mit der lateinischen Sprache ein. Lateinische Texte nutzte er zunächst für verschiedene Vokalkompositionen, während er zu Beginn seiner Laufbahn auch tschechische Texte vertont hatte (Trí kanzonety für drei gleiche Stimmen [1955?] nach Texten von Vítezslav Nezval; Písen Závišova [Lied des Záviš] für Tenor und Orchester [1958] auf einen alttschechischen Text). In seinen lateinischen Vokalwerken berücksichtigte Novák schon früh die Gesetzmäßigkeiten des auf Längen und Kürzen beruhenden antiken Metrums (z.B. X Horati carmina für Einzelstimme oder Chor und Klavier [1959] auf Oden des Horaz; Amores Sulpiciae für vierstimmigen Frauenchor [1965] auf Gedichte der Sulpicia). Zu den bedeutendsten Werken dieser Schaffensphase gehört die Kantate Dido für Mezzosopran, Sprecher, Männerchor und Orchester (1967) nach Texten aus dem vierten Buch von Vergils Aeneis, in der sich antike Metrik, Neoklassizismus, Elemente des Jazz und die Einflüsse Martinus zu einer neuen originellen Musiksprache verbinden. Novák begann auch eigene lateinische Texte zu vertonen, wohl erstmals in den Exercitia mythologica für vier- bis achtstimmigen gemischten Chor (1968) und im Ignis pro Ioanne Palach für Chor und Orchester (1969), in dem er zugleich die Vorgänge in seiner tschechoslowakischen Heimat zu verarbeiten suchte.

Außerdem schuf Novák während der Brünner Jahre Bühnenmusiken (u.a. zu Bertolt Brechts Der aufhaltsame Aufstieg der Arturo Ui [1959]; zu William Shakespeares Julius Caesar [1960]; zu Ludvík Kunderas Totální kuropení [Totaler Hahnenschrei, 1961]; zu Jan Kopeckýs Komedie o umucení [Komödie von der Passion, 1965]), Filmmusik (u.a. zu Trápení [Leiden, 1961; Regie: Karel Kachyna]; Kybernetická babicka [Die kybernetische Oma 1962; Regie: Jirí Trnka]; Kocár do Vídne [Wagen nach Wien 1965; Regie: Karel Kachyna]) und Hörspielmusik.

Die Vertonungen lateinischer Texte nahmen insbesondere während Nováks Zeit in Rovereto breiten Raum ein, als neben Kammermusik eine Vielzahl an Vokalwerken und die Oper Dulcitius (1974, auf den Text der gleichnamigen Komödie der Hrotsvith von Gandersheim) entstand, orchestrale Werke jedoch in den Hintergrund traten. Während dieser Zeit verfasste Novák auch die theoretische Schrift Musica Poetica Latina. De versibus Latinis modulandis, in der er seine Prinzipien der musikalischen Umsetzung lateinischer Verse und insbesondere der antiken Metren darlegte. Antike Metren bildeten nun teilweise auch die Rhythmusgrundlage reiner Instrumentalkompositionen, zum Beispiel des Odarum concentus für Streichorchester (1973), der auf fünf Oden des Horaz beruht. Die fünf kurzen Sätze des Werks sind in je verschiedenen Odenmaßen gestaltet (Sapphicum, Archilochium tertium, Sapphicum maius, Asclepiadeum tertium, Alcaicum). Ähnliches gilt für den Zyklus Cithara poetica für Gitarre solo (1977; als Fassung für Klavier, 1978 unter dem Titel Odae). Darüber hinaus entstanden Vertonungen lateinischer Prosatexte (z.B. Apicius modulatus für Singstimme und Gitarre [1971] auf Texte u.a. von Apicius). Nováks Tätigkeit an der Roveretaner Musikschule entsprangen verschiedene Kompositionen vor allem für die Jugend, etwa leichtere Klavierstücke (Rondini [1970]; Puerilia [1971]; Rustica Musa I [1973] nach mährischen Volksliedern) sowie Liedersammlungen aus Vertonungen antiker und mittellateinischer Texte (Schola cantans für Singstimme und Klavier [1973] auf antike Texte mit weniger strenger Umsetzung des Metrums; Florilegium cantionum Latinarum für Singstimme und Klavier [1972/74] und Cantiones Latinae für Singstimme und Gitarre [1971] auf der Grundlage mittelalterlicher Melodien).

Während seiner letzten Lebensphase widmete sich Novák vor allem Orchesterwerken (Elegantiae tripudiorum [1980]; Ludi concertantes [1981]; Vernalis temporis symphonia für Soli, Chor und Orchester [1982]; Symphonia bipartita [1983]) und der Kammermusik. Dazu gehören mehrere Sonaten für verschiedene Besetzungen, darunter Sonata da chiesa I und II für Flöte und Orgel (1981). Insbesondere der mit Corona spinea betitelte dissonante Mittelsatz der zweiten Sonata da chiesa ragt unter Nováks Spätwerk heraus. Die Sonata super hoson zes für Violine oder Flöte und Klavier (1981), die auf dem auf einer Grabstele überlieferten sog. Seikilos-Lied beruht, gehört zu den wenigen Werken Nováks, die sich mit der Musik der griechischen Antike auseinandersetzen. Die einzigen größeren Vokalwerke mit griechischer Textvorlage entstanden ebenfalls während Nováks Neu-Ulmer Zeit, nämlich Musarum invocatio für vierstimmigen gemischten Chor (1979) und der Hymnus Eis Aphroditen für sechsstimmigen gemischten Chor (1980). Davon abgesehen pflegte Novák auch weiterhin das Lateinische: Dem Ballett Aesopia für vierstimmigen gemischten Chor und zwei Klaviere bzw. kleines Orchester (1981) liegen lateinische Fabeln des Phaedrus zugrunde. Die umfangreichste Sammlung von lateinischen Liedern Nováks liegt in den Cantica Latina für Singstimme und Klavier (erschienen 1985) vor, in die Novák neben neuen Werken auch Bearbeitungen aus früheren Kompositionen aufnahm (z.B. die Ode Ad lyram aus der Bühnenmusik zu Julius Caesar oder die Ode Ad Dianam et Apollinem aus dem vierten Satz des Odarum concentus). Die vertonten Texte reichen, bei großer thematischer Vielfalt, von der römischen Antike (neben einer griechischen Ode der Sappho [Ode amatoria]) bis zu Novák selbst. Wert gelegt wurde auf Sanglichkeit, jedoch enthält die Sammlung auch ein Lied in Zwölftontechnik, das in schmerzlichem Duktus den Einmarsch russischer Panzer in die Tschechoslowakei im Jahr 1968 beklagt (Canticum sonorum XII).

6   Würdigung

Als Charakteristika von Jan Nováks Werk gelten klare formale Struktur, freie Tonalität, reiche Rhythmik und meisterhafte Instrumentation. Betont wird sein Humor. Deutlich ist, vor allem im Frühwerk, der Einfluss Bohuslav Martinus und auch Igor Strawinskys. Böhmisch-mährische Traditionen spielen immer wieder eine Rolle. Der Großteil von Nováks Werken ist dem Neoklassizismus zuzuordnen, zu dem er nach Experimenten mit Dodekaphonie, serieller Musik und Aleatorik zurückkehrte. Jedoch bezog er weiterhin Jazzelemente in seine Kompositionen ein. Novák begriff die Beschäftigung mit den avantgardistischen Kompositionstechniken des Westens auch als Mittel der Abgrenzung gegenüber der in der Tschechoslowakei herrschenden Doktrin des Sozialistischen Realismus. Insbesondere seine Jazzexperimente wurden von den Kritikern kritisch beäugt und als unpassend für die tschechische Musik angesehen. Bei grundsätzlicher Offenheit für neue Entwicklungen ließ sich Novák nicht von Modeströmungen binden, sondern verwendete Prinzipien neuer Musik, wie einige andere tschechische Komponisten seiner Generation, in sehr persönlicher Art.

Novák gehört zu den wichtigsten tschechischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Daneben ist seine Bedeutung für die Pflege der klassischen Sprachen, insbesondere des Lateinischen, hervorzuheben. Novák hat sich intensiv um die Vertonung lateinischer Texte nach metrischen Gesichtspunkten bemüht, wie sie seit der Renaissance nicht mehr üblich gewesen war. Grundlage bildet das aus langen und kurzen Silben bestehende Metrum lateinischer Verse, die grundsätzlich im Verhältnis 2:1 zueinander stehen. Diese rhythmischen Vorgaben, die bei strikter Umsetzung die Gefahr der Monotonie in sich bergen würden, variierte Novák einerseits durch unterschiedliches Verhältnis der Notenwerte zueinander (Daktylen werden beispielsweise in den Amores Sulpiciae nicht in 2:1:1-Relation verwendet, sondern eine punktierte Viertelnote steht zwei Sechzehntelnoten gegenüber); mehrere Längen bzw. Kürzen innerhalb desselben Verses können unterschiedliche Tondauer haben, Längen und Kürzen werden jedoch nicht vertauscht. Andererseits fügte Novák an den Zäsuren der antiken Verse und an ihren Versgrenzen verschieden lange Pausen ein. Unterschiedliche Takteinteilungen ermöglichen eine Verlagerung der Betonungen. Zusätzlich ist vereinzelt auch melismatischer Gesang anzutreffen. Diese Vorgehensweise erlaubte es, beispielsweise die (vor allem seit Horaz) stark durchregulierte sapphische Odenstrophe, die Novák besonders schätzte, immer wieder anders zu vertonen. Nováks genaue Orientierung am lateinischen Metrum (die aber nicht für rhythmische lateinische Dichtung des Mittelalters und nur teils für neulateinische Dichtung gilt), ist singulär und übte großen Einfluss auf seine Musiksprache aus.

7   Ausgaben

Rechte zumeist bei Elissa Novák, Ulm, Český Rozhlas oder editio Baerenreiter Praha

8   Quellen/Literatur

http://www.lrz-muenchen.de/~stroh/novak/nov_schriften.htm

9   Werkverzeichnisse

unterhttp://www.lrz-muenchen.de/~stroh/novak/nov_werkverz.htm
Vertonungen antiker Texte: http://www.lrz-muenchen.de/~stroh/novak/novak_l1.htm
Vertonungen neu- und mittellateinischer Texte: http://www.lrz-muenchen.de/~stroh/novak/novak_l2.htm
Sonstige Werke: http://www.lrz-muenchen.de/~stroh/novak/novak_l3.htm