Schilling 1/1835, Bd. 1
Belleville-Oury, ausgezeichnete Claviervirtuosin, stammt aus der adeligen Familie von Belleville in München, wo sie im Jahre 1808 geboren wurde. Ihr eminentes Talent gab ihr die Bestimmung zur Künstlerin. Nachdem sie in ihrer Vaterstadt den ersten Unterricht genossen hatte und dadurch so weit gelangt war, daß über ihre Zukunft kein Zweifel mehr gehegt werden konnte, schickten sie ihre Eltern nach Wien, um den Unterricht des als Lehrer vielgesuchten und vielerfahrenen Czerny noch zu genießen. Aus der Schule dieses Mannes trat sie zuerst in die Oeffentlichkeit. Es war dies in Wien selbst, wo sie 1819 mit Variationen von Moscheles sich öffentlich hören ließ. Ihr Lehrer führte sie, als eine seiner Lieblingsschülerinnen, selbst an das Clavier, an welchem sie seinem Bemühen alle Ehre machte. Sie blieb ein volles Jahr bei Czerny, und gab am 1. November 1820 ihr eigenes Abschiedsconcert zu Wien, in welchem sie unter Anderm auch das Cis-Moll-Concert von Ries und Bravour-Variationen eigener Composition vortrug.
Die Fertigkeit, welche sie darin entwickelte, war hinreißend und erstaunenswürdig; dabei excellirte sie durch eine Sicherheit und Präcision im Anschlage und einer Grazie im Vortrage überhaupt, welche kaum bei solcher außerordentlichen Bravour hätten erwartet werden dürfen. Nun ging sie vorerst nach München zurück, machte dann aber bald große Reisen durch Deutschland, Frankreich und Italien, auf denen sie überall als eine hochgefeierte Meisterin auf ihrem Instrumente aufgenommen und ausgezeichnet wurde. 1832 war sie in London und verheirathete sich dort an den Violinspieler Oury, mit welchem sie nun unter dem Namen Belleville-Oury neue Reisen unternahm, und zwar zuerst nach Deutschland, wo sie hauptsächlich in Hamburg und Berlin glänzende Triumphe feierte. Dann zogen sie weiter nach Wien und von da nach Rußland, wo sie sich zu Petersburg fast ein ganzes Jahr (1834) aufhielten. Wo in diesem Augenblicke (1839) das geehrte Künstlerpaar, das nunmehr ziemlich alle Hauptstädte Europa’s zu bewundern Gelegenheit hatte, weilt, ist uns nicht bekannt geworden.